Employer Branding

Interview mit Jeannine Halene: „Gutes Employer Branding braucht einen ganzheitlichen Ansatz“

von Jeannine Halene

In Deutschland ist der Arbeitsmarkt derzeit stark von einem Fachkräftemangel geprägt. Der demografische Wandel verschärft die Situation zusätzlich: Immer mehr ältere Arbeitnehmer treten in den Ruhestand, während eine neue Generation nachrückt, die zahlenmäßig kleiner ist und andere Ansprüche an ihren Arbeitgeber stellt. Employer Branding Consultant Jeannine Halene erklärt im Interview, warum diese Dynamiken Unternehmen zwingen, ihre Strategien zur Mitarbeitergewinnung und -bindung neu zu gestalten und warum die Entwicklung einer starken Arbeitgebermarke ein hochstrategisches Thema ist und eine „hippe“ Recruiting-Kampagne oder ein eigener TikTok-Kanal dafür nicht ausreichen.

Frau Halene, Sie leiten seit 14 Jahren eine Werbeagentur und beraten namhafte Unternehmen auch im Bereich Employer Branding und Recruiting. Warum? 

Ein starkes Employer Branding kann dabei helfen, Top-Talente anzuziehen, die immer weniger werden. Es kann außerdem die Mitarbeiterbindung erhöhen und das gesamte Unternehmensimage stärken. Bereits 2020 haben 72 Prozent der befragten HR-Fachleute bei einer LinkedIn-Studie angegeben, dass Employer Branding einen signifikanten Einfluss auf ihre Arbeit im Recruiting hat. Wer keinen Fokus darauf legt, wird in der Zukunft abgehängt. So hart muss ich es leider sagen. Viele Unternehmen kommen zu meiner Agentur mit dem Wunsch nach einer Recruiting Kampagne und der Hoffnung auf gute Bewerber:innen. Mit einer einzelnen Kampagne ist es aber selten getan. Das Problem braucht aber einen ganzheitlichen Ansatz – das müssen Unternehmen verstehen oder es schmerzhaft lernen.

Was bedeutet denn ein ganzheitlicher Ansatz beim Employer Branding?

Damit ein Unternehmen in der Zukunft erfolgreich bleibt, muss es drei verschiedene Säulen radikal umdenken und miteinander vereinen: Dazu zählen die HR-Abteilung, die „alte“ Führungsriege und die neue Generation. Ich bewege mich oft an den Schnittstellen dieser Bereiche, verhelfe den Führungsebenen zu mehr Verständnis für die neue Generation und erarbeite zusammen mit der HR-Abteilung die notwendigen Maßnahmen für diesen Change.

Das Umdenken muss also „oben“, auf den Führungsetagen, anfangen?

Definitiv. Employer Branding ist ein hochstrategisches Thema und für mich daher auch Chefsache. Seit einigen Jahren mehrt sich allerdings das Unverständnis der Erfahrenen, die häufig in Führungspositionen sitzen, gegenüber der NextGen, die auf dem Arbeitsmarkt nachrückt. Noch nie gab es so viele Generationen am Arbeitsmarkt wie heute. Aktuell sind bis zu fünf verschiedene Generationen in den Unternehmen vertreten.

Ein Kunde beschwerte sich kürzlich bei mir „Was ist nur mit den Jungen los? Die haben alle keine Arbeitseinstellung mehr!“. Vom nächsten hörte ich „Solche Ansprüche zu stellen, hätte ich mich als Berufseinsteiger niemals getraut“, „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Ich kann das alles nachvollziehen. Auch ich gehörte zu den hart Arbeitenden. Dennoch muss man die Situation da draußen verstehen und akzeptieren. Bringt doch nichts sich mit der Realität zu streiten. Wir müssen eine neue Perspektive einnehmen und die „Generation arbeitsunfähig“, wie sie auch gerne betitelt wird, verstehen lernen. Im Übrigen glaube ich, dass die neue Generation sehr wohl gewillt ist, hart zu arbeiten. Neu ist nur, dass wir ihnen einen Grund dafür geben müssen – und zwar einen guten. So sind Unternehmen gezwungen über „sinnstiftende Arbeit“, Nachhaltigkeit oder mentale Gesundheit nachzudenken. Das ist doch etwas Gutes. Vor allem in Hinblick darauf, dass wir die Arbeitskraft der wenigen Fachkräfte langfristig erhalten müssen.

Ich clustere Chef:innen und Vorstände – ich gebe zu etwas plakativ – in zwei Lager: in „Flüchtlinge“ und „Integrationshelfer“. Erstere stehen vielleicht kurz vor der Rente und sagen: „Das habe ich immer so gemacht und werde ich jetzt nicht mehr ändern.“ Verständlich, aber fürs Unternehmen fatal. „Integrationshelfer“ dagegen wollen die neue Generation verstehen, holen sich Rat ein und lassen sich ein auf New Work und New Minds, die Unternehmenskultur verändert sich.

Sie sprachen auch von einem Umdenken in den HR-Abteilungen. Was muss sich dort ändern?

Die Welt der HR befindet sich in einem ständigen Wandel. Was vor allem als administrative Funktion begonnen hat, hat sich heute zu einer strategischen Schlüsselfunktion entwickelt. HR-Profis sind längst nicht mehr nur die Verwalter von Mitarbeiterdaten – sie sind die Architekten einer zukunftsorientierten Unternehmenskultur. Sie müssen dafür ein sehr breites Spektrum an Fähigkeiten mitbringen. Dazu gehören Kenntnisse im digitalen Marketing, in der Datenanalyse, im Change Management und eine ausgeprägte Fähigkeit zur Kommunikation und Vernetzung. Sie müssen ein Gespür dafür entwickeln, was welche Generation braucht, von Nachhaltigkeitsstrategien bis zu flexiblen Arbeitszeitmodellen. Es geht nicht mehr um „Hire und Fire“, sondern um das „Hegen und Pflegen“ guter Mitarbeiter:innen.

Die sich wandelnden Anforderungen an die HR erfordern damit deren kontinuierliche Weiterbildung und ihre Bereitschaft, neue Technologien und Methoden zu integrieren. Die NextGen ist mit digitalen Technologien aufgewachsen und bringt eine hohe technologische Affinität mit. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie moderne Technologien und Tools zur Verfügung stellen, um die Erwartungen dieser Generation zu erfüllen. Laut einer Studie von PwC aus dem Jahr 2021 ist für 85 Prozent die digitale Ausstattung eines Unternehmens ein entscheidender Faktor bei der Wahl des Arbeitgebers. Entsprechend müssen auch die Bewerbungsprozesse ständig angepasst werden. Wer noch eine Bewerbungsmappe per Post anfordert oder keine Plattform benutzt, die „user friendly“ ist, ist für junge Bewerber schnell uninteressant. Diversität und Inklusion, ebenfalls wichtige Werte für die junge Generation, lassen sich im Bewerbungsprozesse auch bereits berücksichtigen.

Welche Rolle spielt die Integration solcher Werte beim Employer Branding?

Das Employer Branding transportiert im besten Fall die Vision und die Werte des Unternehmens. In welche Richtung soll sich das Unternehmen entwickeln? Was ist der Purpose? Was ist die Employer Value Proposition, also wofür stehen wir eigentlich als Arbeitgeber und was wollen wir nach außen kommunizieren?

Gerade größeren Unternehmen empfehle ich, mit einer Umfrage bei den bestehenden Mitarbeiter:innen zu starten, um zu ergründen, welche Antworten sie auf diese Fragen geben würden. Bei bekannten Konzernen machen wir auch externe Umfragen, um herauszufinden, wo ihre Arbeitgebermarke aktuell steht. Auch Statistiken und klassische Kennzahlen sehen wir uns für unsere Gesamtanalyse an. So können wir das Fremdbild mit dem Selbstbild vergleichen.

Wichtig dabei: Die Ergebnisse zum Status quo erst einmal klar von der Employer-Branding-Strategie zu trennen und dem Vorstand oder CEO Zeit zu geben, sie zu verarbeiten. Denn auch bestehende Schwachstellen werden hier sichtbar. Interessanterweise kommen allerdings fast immer positive Aspekte auf, die Mitarbeiter:innen schätzen, ohne dass es den Vorgesetzten bewusst war. Später versuchen wir genau diese positiven Aspekte zu verstärken und darauf die Kommunikationsmaßnahmen auszurichten. Es geht ja nicht nur darum, neue Bewerber:innen zu gewinnen, sondern auch die engagierten Menschen im Unternehmen zu halten.

Was können das für positive Aspekte sein, die Arbeitgebern vielleicht gar nicht bewusst sind?

Die sind sehr individuell, aber ein gutes, weil recht anschauliches, Beispiel sind die Benefits, die ein Unternehmen seinen Angestellten bietet. Durch die Umfragen wird deutlich, welche davon tatsächlich gut ankommen. Ich hatte neulich einen Kunden mit einem riesigen Katalog an Benefits. Nicht nur, dass diese Masse die meisten schon überfordert, leider war auch die ein oder andere Mogelpackung dabei. Im Kleingedruckten zum „Fitnessstudio“ stand beispielsweise, dass das Unternehmen bei einer Mitgliedschaft drei Euro im Monat zuzahlt. Das ist kein wirklicher Benefit. Das Gleiche gilt für mich für gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen, die als Benefit verkauft werden. Wie beim Dating platzt die Blase irgendwann eh, wenn sich beide Seiten näher kennenlernen. Aber es soll doch langfristig matchen.

Die Firma SAP beispielsweise hat eine hervorragende Website, auf der sie clustert, für wen welcher Benefit tatsächlich interessant ist. Das finde ich einen tollen Service. Lindt beispielsweise hat ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal und kann seinen Mitarbeiter:innen große Schokoladenpakete bieten. Auch ein Kunde von mir im Pflegebereich ist kreativ geworden und bietet sinnvollerweise Coachings oder Supervisionen für die Teams an. Aber besonders kreativ müssen die meisten Unternehmen gar nicht werden, so lange sie ehrlich und authentisch sind. Denn das ist ebenfalls etwas, auf das die neue Generation Wert legt. Also: keine Standards oder Mogelpackungen, sondern echte Benefits, Qualität über Quantität und Ehrlichkeit über Kreativität.

Diese Benefits sollten dann ins Employer Branding einfließen?

Als ein kleiner Kommunikationsbaustein, ja. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Employer Branding die kommunikative Klammer um alle Kommunikationsmaßnahmen ist. Wir entwickeln ein komplettes Employer Branding Manual, das als Leitfaden beispielsweise dafür dient, wie die Kommunikation optisch aussieht, welche Tonalität Texte haben sollen etc. Es bietet den Nährboden dafür, wie später eine Recruiting-Kampagne aussehen kann und wie die einzelnen Maßnahmen darunter. Davon sind die Benefits ein winziger Kommunikationsbaustein, aber die Umfrage am Anfang kann bereits Futter liefern für spätere Kampagnen, in der Mitarbeiter:innen erzählen, wie sie von einem bestimmten Benefit profitieren.

Die Mitarbeiter:innen werden also weiter eingebunden?

Auf jeden Fall! Mindestens indem man ihnen vorstellt, was sich aus der Befragung entwickelt hat. Das kann zum Beispiel eine Recruiting-Kampagne sein, die wir intern in einem Workshop oder Townhall-Meeting vorstellen. Man muss die Leute beim Employer Branding mit ins Boot lassen. Dann stehen sie auch selbst ganz anders dahinter und transportieren sie weiter.