stolpersteine hochbegabung

Ein hoher IQ erklärt häufig Kommunikationsprobleme

von Katharina Brökelmann

Katharina Brökelmann ist Wirtschaftspsychologin und arbeitet als Unternehmensberaterin, Coach und Mediatorin. Sie selbst ist hochbegabt und somit auch hochsensibel und verbessert in Teams die Kommunikation von und mit Menschen mit Hochbegabung.

Wie unterscheidet man Hochbegabung und Hochsensibilität und welche Auswirkungen haben sie auf Menschen?

Hochsensibilität lässt sich zum Beispiel daran festmachen, dass die Sinne verstärkt sind. Mit ihr reagierst du stark auf alles, was von außen kommt. Deshalb bist du von den vielen verschiedenen Einflüsse auch wesentlich schneller erschöpft. Dadurch, dass die Sinne viel rascher oder anders gereizt werden, musst du ein bisschen mehr auf dich achten. Hochbegabung drückt sich durch einen höheren IQ aus, also einen höheren Intelligenzquotienten. Das bedeutet, dein Gehirn arbeitet mit unheimlicher Geschwindigkeit. Das bringt in der Kommunikation eine Herausforderung mit sich – egal ob du sprichst oder dein Gegenüber. Du verknüpfst Zusammenhänge anders und schneller miteinander und betrachtest das große Ganze oft noch einmal anders. Du ahnst, aufgrund der Erfahrungen, die du bereits gemacht hast, Dinge sozusagen schon voraus. Durch das, was du alles mitspiegelst, und das Tempo in deinem Kopf, hast du eine andere Wahrnehmung von den Dingen und kannst die Zusammenhänge auch in der Zukunft anders beleuchten als das normalerweise der Fall wäre. Deshalb fällt es Hochbegabten in der Regel viel leichter mit anderen Hochbegabten zu kommunizieren. Im Alltag und im Beruf treffen wir aber auf viele unterschiedliche Menschen.

Inwiefern kommunizierst du als hochbegabte und hochsensible Person anders als andere?

In der Hochbegabung ist es sehr wichtig, darauf zu achten, wie du kommunizierst. Der erste Schritt: Versuche zu verstehen, wie etwas bei deinem Gegenüber ankommt. Mir haben beispielsweise früher viele gesagt, ich wäre sehr sprachgewandt. Wenn ich etwas sage, dann ist das meistens sehr komplex. Selbst, wenn ich das gar nicht will. Inzwischen bekomme ich das Feedback, ich sei verständlicher geworden. Das liegt daran, dass ich darüber nachdenke, wie meine Art der Kommunikation als Sender bei den Empfängern ankommt.

Wenn du auch dazu neigst, immer komplexe Aussagen zu machen, kann das ein Hinweis auf eine Hochbegabung sein und es ist vielleicht ratsam, einmal einen IQ-Test zu machen. Der Aufwand ist gering und das Ergebnis erklärt vielleicht, warum andere dich oft nicht verstehen. Außerdem hilft es dabei, dir selbst zu erlauben, etwas weicher zu werden und Verständnis für andere zu entwickeln.

Natürlich lebt jeder sein eigenes Normal. In meiner Abizeitung stand bereits: »Besondere Beobachtungsgabe und extrem schnelle Schlussfolgerungen, die immer irgendwie stimmen.« Ich habe meine Testung erst mit über 30 durchgeführt. Das Ergebnis war für mich rückwirkend die Erklärung für meine Art der Kommunikation.

Für mich ist ganz normal, dass bestimmte Prozesse schneller oder langsamer laufen müssen oder, dass ich durch die Kommunikation auf einmal eine Geschwindigkeit in Themen und Projekte bringe, die andere zunächst total überrollt. Deshalb habe ich von Gesprächspartner:innen oft gehört: Wie sollen wir das denn jetzt auf einmal machen? Und ich habe festgestellt, dass ich in der Kommunikation, Dinge noch tiefer erklären muss, um die Menschen mehr mitzunehmen. Das kann sogar bedeuten, dass ich von meiner Seite aus fünfmal nachfrage: »Hast du das gerade wirklich verstanden?« oder »Bin ich gerade zu schnell?«

Seit ich selbst getestet wurde und auch Testungen mit anderen Menschen mache, ist mir klar, wie wichtig die Frage ist: Mit wem kommuniziere ich und wie? Und das gilt natürlich nicht nur für mich. Hochbegabte Führungskräfte beispielsweise dürfen und sollen auch darum bitten, dass Mitarbeitende in ihren eigenen Worten wiedergeben, was zu tun ist. Es kommt nicht selten vor, dass Mitarbeitende nur nicken, wenn Chef:innen etwas sagen. Dann fällt das Kind in den Brunnen und hinterher fragt man sich: Wie konnte das passieren? Wir haben doch fünf Mal darüber gesprochen.

Die Mitarbeitenden verstehen die Vorgesetzten oft nicht, weil sie die Zusammenhänge hinter der Aufgabe nicht so sehen, erst recht nicht, wie ein hochbegabter Mensch das tut. In solchen Situationen ist es die Aufgabe der Führungskräfte, ihre Bedürfnisse anders zu formulieren, klarer zu werden und im Zweifel noch einmal nachzufragen. Vielleicht braucht es auch noch einen weiteren Termin mit jemandem, anstatt einen zu wenig zu machen. Und im Gespräch oder einem Coaching geht es darum, andere nicht zu überladen, weil für Hochbegabte viel Inhalt und eine hohe Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne den Normalzustand darstellen.

Das heißt, man muss sich eher stoppen, oder hochbegabte, hochsensible Menschen eher ein bisschen stoppen als Gegenüber?

Ich würde sagen, dass wir so aufeinander Rücksicht nehmen können. Das gibt ein neues Verständnis für einen anderen Menschen. Vielleicht bedeutet das sogar, Kommunikation an der ein oder andere Stelle neu zu lernen, weil ich, bevor ich spreche, überlege, sind das die Worte, die mein Gegenüber versteht? Ein Beispiel aus meiner Arbeit: In einem Unternehmen mit einer hochbegabten Führungskraft haben wir einen Mitarbeiter eingestellt, dessen IQ in einem mittleren Bereich lag. Somit hatte die Führungskraft für Gespräche mit Mitarbeitenden, deren IQ tiefer lag, einen Dolmetscher. Wir haben jemanden dazwischengeschaltet, der beide Ebenen besser verstehen und besser mit ihnen kommunizieren konnte. Das hat vieles entspannt. Denn für Hochbegabte ist es genauso anstrengend, immer wieder Geschwindigkeit rauszunehmen, wie für durchschnittlich Begabte, diesem Tempo zu folgen.

Klar könnte man einerseits sagen, man muss Hochbegabte immer stoppen. Andererseits könnte man auch argumentieren, die anderen müssen schneller denken. Wie so oft brauchen wir ein Mittelmaß. Wir benötigen die Überlegung, mit wem spreche ich und was benötigt mein Gegenüber von mir?

»Die Kunst besteht darin, sich anzupassen, ohne sich dabei selbst zu sehr zu verstellen.«

Ich stelle es mir schwer vor, tatsächlich zu kommunizieren: »Hallo, ich bin hochbegabt und hochsensibel, frag deshalb lieber zweimal nach.« Wie kommuniziert man das geschickt?

Ich kommuniziere das in den meisten Fällen nicht als Erstes. In manchen Situationen aber doch, wenn ich beispielsweise sage: »Wir sind hier im Mentoring für Unternehmer:innen und in der Unternehmensberatung und es geht darum, die eigene Performance zu steigern, Prozesse zu digitalisieren, oder darum, Prozesse zu verschlanken und Strukturen anders anzuheben. Ich gehe dabei in extremer Geschwindigkeit vor. Wenn das zu schnell geht, bitte sagt das.« Wenn ich merke, es besteht ein gutes Vertrauensverhältnis, kläre ich auf, dass das Tempo mit meiner Hochbegabung zusammenhängt und ich mich dadurch nicht beweisen oder jemanden antreiben will. Ich möchte niemanden abhängen, sondern eine Kooperation aufbauen.

Der eine oder andere guckt dann vielleicht komisch und fragt sich: »Was will sie denn jetzt?«  Es gibt aber auch diejenigen, die sagen: »Krass, muss ich auf irgendetwas achten?« Ich stoße also auf verschiedene Menschen und Reaktionen. Beides ist in Ordnung. Ich glaube, ein transparenter Umgang ist an vielen Stellen wichtig. Wenn es um den IQ oder auch den EQ (Emotional Quotient) geht, halten sich viele leider zurück.

Ein Beispiel: Ich habe gerade eine 22-Jährige gecoacht, die mit einem IQ von über 140 unterwegs ist. Sie sagte die ganze Zeit: »Ich bin irgendwie total doof und mich kann keiner leiden.« Dass diese Hochbegabung eine Herausforderung für andere Menschen darstellt und dass es etwas Besonderes ist und sie nur lernen muss, damit umzugehen, hat sie nie in Betracht gezogen. Mit 22 ist sie blutjung – sie startet gerade in ihr Berufsleben und schon sieht sie sich selbst in einem negativen Licht und glaubt, es sei ihre Schuld. Für sie ist es sehr wichtig, darüber zu sprechen, wie sich ihre Hochbegabung auswirkt.

Generell gilt, je mehr ich darüber spreche oder je mehr Normalität das in meinem Umfeld bekommt, desto weniger sorgt es für Probleme und ist später noch Thema. Das finde ich spannend. Wahrscheinlich ist es wie bei vielem anderen auch. Denken wir zum Beispiel an Spiritualität. Vor zehn Jahren sind alle weggelaufen, wenn jemand das Wort in den Mund genommen hat. Wenn du heute Spiritualität sagst, reagieren die einen mit »ja, okay«. Andere sagen: »Ja, geil, endlich sprechen wir drüber«. Es darf normal werden, dass es Menschen gibt, die eben ein bisschen anders sind – aus welchen Gründen auch immer. Im Austausch miteinander fällt das am meisten auf. Deshalb müssen wir schauen, wie wir zusammenfinden.

Buchtipp:
Der Kommunikationshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Katharina Brökelmann u.a.
ISBN 978-3-98640-030-9