zusammenarbeit mit Journalisten

Unabhängiger Journalismus ist mehr als ein Geschäftsmodell

von Sabine Hockling

Sabine Hockling, Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin, verbindet mit ihrer Kommunikationsagentur Die Ratgeber Fachwissen mit kreativen Formaten. 2020 gründet sie zusammen mit ZEIT ONLINE-Redakteurin Tina Groll WIR SIND DER WANDEL – das Online-Magazin für die neue Arbeitswelt.

Sabine, warum brauchen wir eigentlich noch Journalismus – wo doch heute jede:r jederzeit Inhalte veröffentlichen kann?

Journalismus tut mehr, als Inhalte zu verbreiten. Er bietet verlässliche, unabhängige und vielfältige Informationen, damit Bürger:innen fundiert entscheiden können – bei Wahlen, in politischen Debatten, im Alltag. Seine Kernaufgabe ist, Transparenz herzustellen. Investigative Recherchen decken Missstände auf, hinterfragen Macht und enthüllen Fehlverhalten. Ohne diese Kontrolle würden Korruption und Machtmissbrauch ungehindert wachsen. Journalismus zwingt Verantwortliche zur Rechenschaft – und stärkt so das Vertrauen der Bürger:innen. Gleichzeitig ermöglicht er Teilhabe: Wer informiert ist, kann eigene Standpunkte entwickeln, sich einbringen und mitgestalten. Das ist nicht nebensächlich – das ist ein Grundpfeiler des demokratischen Diskurses.

Journalismus sichert auch die Vielfalt von Meinungen und Perspektiven. Eine freie Presse gibt unterschiedlichen Stimmen Raum. Diese Vielfalt hält den Diskurs offen und lebendig und schützt vor einseitigem Denken. Zudem vermittelt Journalismus Wissen. Mit fundierten Berichten, Analysen und Hintergründen macht er komplexe Themen verständlich. Gerade in Krisenzeiten ist das unverzichtbar für das Wohlergehen der Gesellschaft. All das gelingt aber nur, wenn Medien unabhängig bleiben – frei von Zensur, wirtschaftlichem Druck und politischer Einflussnahme. Nur ein freier, kritischer Journalismus schafft die informierte Öffentlichkeit, die jede Demokratie braucht.

Seit der US-Präsidentschaftswahl 2016 hat die gezielte Desinformation über soziale Netzwerke enorm zugenommen. Wie kann Journalismus gegen Fake News in den sozialen Medien wirken?

Journalismus ist das wirksamste Mittel gegen Fake News: Journalist:innen prüfen Fakten, ordnen Behauptungen ein und entlarven Falschinformationen. Medien wie Correctiv oder der ARD-Faktenfinder decken Lügen auf und liefern die Wahrheit. Gleichzeitig müssen wir die Medienkompetenz der Bürger:innen fördern. So erkennen sie manipulierte Inhalte, hinterfragen Quellen kritisch und durchschauen Desinformationen.

Je schneller wir falsche Informationen widerlegen, desto geringer ihr Schaden.

Seriöse Medien müssen daher transparent arbeiten: Sie sollten offenlegen, wie sie recherchieren, welche Quellen sie nutzen und warum diese vertrauenswürdig sind. Nur so können sie der Flut fragwürdiger Inhalte standhalten.

Was darf Journalismus – und was nicht?

In Deutschland genießt der Journalismus große Freiheiten, doch sie enden dort, wo andere Rechte und ethische Prinzipien beginnen: beim Schutz der Privatsphäre, der Persönlichkeitsrechte und der Verpflichtung zur Wahrheit. Wahrheit ist das Fundament des Journalismus. Journalist:innen dürfen keine falschen Informationen verbreiten und müssen ihre Quellen sorgfältig prüfen. Fake News und unbestätigte Gerüchte widersprechen der journalistischen Ethik. Gleichzeitig bleibt es ihre Aufgabe, unbequeme Wahrheiten aufzudecken – frei von politischen, wirtschaftlichen oder anderen Einflüssen.

Ein weiteres Prinzip lautet: Fairness. Journalist:innen dürfen nicht einseitig berichten, sondern müssen Konflikte und Geschichten ausgewogen darstellen. Absolute Objektivität ist zwar kaum erreichbar, doch das Ziel bleibt eine faire, gründlich recherchierte Berichterstattung. Einseitigkeit oder bewusste Verzerrung überschreiten ethische Grenzen. Zudem dürfen sie keine vertraulichen Informationen ohne Zustimmung veröffentlichen oder unethische Methoden anwenden. Die Rechte von Minderheiten und schutzbedürftigen Gruppen verdienen besonderen Respekt. Journalismus darf weder Diskriminierung noch Stigmatisierung fördern. Vorurteile und stereotype Darstellungen haben in der Berichterstattung keinen Platz – besonders bei Themen, die ethnische Minderheiten, Frauen, Menschen mit Behinderungen oder andere marginalisierte Gruppen betreffen. Diskriminierung, ob offen oder subtil – ist nicht nur unethisch, sondern schadet auch der Gesellschaft.

Auch Interessenkonflikte sind strikt verboten. Journalist: innen dürfen sich weder von politischen noch von wirtschaftlichen Akteuren beeinflussen lassen. Geschenke, Vergünstigungen oder andere Vorteile, die ihre Unabhängigkeit gefährden, sind tabu. Jede Abhängigkeit zerstört das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Berichterstattung. Unabhängigkeit bildet das Fundament des Journalismus.

Wie wählen Redaktionen ihre Themen – und was bedeutet das für alle, die mit ihren Inhalten sichtbar werden wollen?

Wer ein Thema in den Medien unterbringen will, muss verstehen, wie Redaktionen arbeiten.

In großen Redaktionen entscheiden Redaktionskonferenzen über die Themen. Journalist:innen stellen dort ihre Ideen vor, besprechen aktuelle Ereignisse und planen langfristige Recherchen. Die Themenwahl ist ein kreativer und oft komplexer Prozess, der viele Aspekte berücksichtigt. Ein Thema muss die Zielgruppe interessieren und zugleich journalistischen Ansprüchen genügen. Aktualität, Relevanz, verfügbare Ressourcen und redaktionelle Unabhängigkeit spielen dabei eine Schlüsselrolle.

Aktualität gehört zu den wichtigsten Kriterien. Ereignisse, die gerade geschehen oder viel Aufmerksamkeit erhalten, stehen im Fokus. Doch nicht nur der Zeitpunkt zählt – auch die Relevanz ist entscheidend. Redaktionen prüfen, ob ein Thema für ihre Zielgruppe spannend ist. Denn die Zielgruppe bestimmt maßgeblich, welche Themen es in die Berichterstattung schaffen.

Neben Relevanz und Zielgruppenfokus zählt auch Exklusivität. Exklusive Interviews, tiefgehende Recherchen oder seltene Einblicke erhöhen den journalistischen Wert eines Beitrags und heben ihn aus der Masse hervor.

Und schließlich: die verfügbaren Ressourcen. Redaktionen wägen ab, ob sie genug Zeit, Expert:innen und finanzielle Mittel haben, um ein Thema gründlich zu bearbeiten. Besonders aufwendige Recherchen oder spezielle Datenanalysen beanspruchen Ressourcen, die dann an anderer Stelle fehlen.

Wie lässt sich unabhängiger Journalismus heute überhaupt noch finanzieren?

Neben den klassischen Modellen wie beispielsweise Werbefinanzierung, Abonnements oder Paywalls entwickeln sich neue Wege. Kooperationen mit Unternehmen im Bereich Brand Journalism, Micropayments für einzelne Artikel und genossenschaftliche Modelle, bei denen Leser:innen Miteigentümer werden, eröffnen neue Perspektiven für unabhängige Berichterstattung.

Bei WIR SIND DER WANDEL zählt Qualität – auch in der Werbung. Deshalb wählen wir gezielt aus: wenige, gut platzierte Werbeflächen, strategisches Format-Sponsoring und langfristige Partnerschaften mit Unternehmen, die unsere Werte teilen. Unser Online-Magazin bleibt frei von beliebigen Anzeigen, obwohl uns täglich entsprechende Angebote erreichen. Viele lehnen wir ab, weil sie weder zu uns noch zu unseren Inhalten oder unserer Haltung passen.

Für uns gilt: Werbung muss nicht laut oder aufdringlich sein. Sie soll inspirieren, Orientierung geben und unseren Leser:innen echten Mehrwert bieten. In einer Zeit, in der Aufmerksamkeit zur Währung geworden ist, setzen wir auf Integrit.t und Relevanz – nicht auf Klickjagd oder Streuverluste. Ein weiterer Grundsatz: Unser Wissen bleibt frei zugänglich. Eine Paywall? Wird es bei uns nicht geben – auch künftig nicht. Unser Motto lautet: „Ohne Paywall. Ohne Kompromisse.“

Wir glauben: Wissen gewinnt, wenn man es teilt. Wandel entsteht, wenn Inhalte Menschen wirklich erreichen – ohne Barrieren.

Buchtipp:
Der Kommunikationshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Sabine Hockling u.a.
ISBN 978-3-98640-030-9