Ehrlichkeit zahlt sich aus

Das Ende der Lüge – wie wir aufhören, die Wahrheit anzupassen

von Markus Schollmeyer

Wie oft haben Sie heute schon gelogen? Diese Frage können Sie vielleicht gar nicht so einfach beantworten. Denn wir unterscheiden oft nicht nur zwischen wahr oder falsch. Häufig agieren wir in einem Graubereich. Auch unsere Ansprüche an andere variieren: Von uns nahestehenden Menschen erwarten wir Ehrlichkeit, während wir uns von vornherein sehr sicher sind, dass wir von Werbemachern oder Politikern regelmäßig belogen werden. Selbst der Volksmund äußert sich zerrissen, was diesen Themenkomplex angeht: Er nennt den Ehrlichen den Dummen, weil er mit einer Lüge angeblich weiterkommt. Der gleiche „Mund“ weiß aber auch, dass Lügen kurze Beine haben.

Lohnt es sich zu lügen?

Was denn nun? Fakt ist, Unehrlichkeit wird oder wurde zumindest bisher viel zu häufig belohnt. Zumindest materiell. Unsere Welt befindet sich aber im Wandel. Ein neues Bewusstsein entsteht und lässt sich aktuell besonders gut beobachten: Wir müssen lernen, unsere Umwelt zu achten, weil sie sonst bald zerstört ist. Der „Homo oeconomicus“, also der rein von wirtschaftlichen Überlegungen getriebene Mensch, gilt als Auslaufmodell, weil Umweltschutz und bedingungsloses Gewinnstreben häufig nicht so wirklich zusammenpassen.

Leben wir in einer verlogenen Welt?

Natürlich wird der Klimawandel noch von vielen Seiten vehement bestritten. Vor allem auf Social-Media-Plattformen werden systematisch Fake News und Deep Fakes verbreitet. Manche wähnen sich sogar in einem postfaktischen Zeitalter. Ich halte das für Unsinn. Fakten sind unsere Brille, durch die wir die Welt betrachten. Je mehr Fakten wir kennen, umso differenzier, verlässlicher, bunter und realistischer nehmen wir diese Welt wahr. Sie helfen uns, Zusammenhänge zu sehen und Muster zu erkennen. Für mich ist es deshalb an der Zeit, den Wert der Wahrheit besonders hervorzuheben, anstatt sie als verloren abzutun. Denn am Ende wird uns angesichts der großen Herausforderungen in Sachen Umweltschutz oder auch Digitalisierung auffallen, dass wir die Probleme nur gemeinsam lösen können: indem wir alle an einem Strang ziehen. Dem steht natürlich der Egoismus vieler entgegen. Nun können wir hingehen und versuchen, ihn mit Kontrolle zu bezwingen. Kontrolle ist allerdings anstrengend und oft gar nicht möglich oder wir landen am Ende in einer Diktatur.

Ehrlichkeit schlägt Kontrolle

Mein Angebot lautet: Ehrlichkeit statt Kontrolle, und Möglichkeiten, sie umzusetzen. Denn Ehrlichkeit schafft Vertrauen. Einen Menschen, dem man vertrauen kann, muss man nicht mehr kontrollieren. Das spart nicht nur Energie, sondern macht das Leben freier und leichter. Ehrlichkeit ist eine Lebenseinstellung. Entweder man entscheidet sich für sie und handelt entsprechend oder eben nicht. Sie hat natürlich auch ihren Preis. Sie kostet oftmals Überwindung, denn man muss bei sich selbst anfangen und im ersten Schritt ehrlich zu sich selbst sein und sich dann im zweiten Schritt im eigenen Umfeld ein ehrliches Klima schaffen. Dabei spreche ich hier keinesfalls von Naivität. Natürlich wird es weiterhin Menschen geben, die sich der Lüge bedienen, um Vorteile daraus zu ziehen. Aber je stärker Sie Ihre eigene Ehrlichkeit ergründen, desto klarer sehen Sie auch die Wege, wie Sie die Wahrheit ans Licht bringen können, die andere vor Ihnen verheimlichen wollen. Wissen ist Macht.

Machen Sie es Lügnern schwer

Die eigenen Sichtweisen und der Grad, wie ehrlich Sie zu sich selbst sind, bestimmen wesentlich den Erfolg bei der Wahrheitssuche. Denn Lügner lieben es, wenn man es ihnen leicht macht. Dazu nutzen sie oft geschickt Vorurteile aus. Besonders beliebt ist dies bei den sogenannten politischen Populisten, die komplexe Sachverhalte erst vereinfachen und dann die Unwahrheit darauf platzieren. Für viele Menschen klingt das letztlich glaubwürdig, weil es so einfach ist. Und etwas, worüber man nicht lange nachdenken muss, das kann ja nur die Wahrheit sein. „Unsinn!“, möchte man rufen. Aber leider funktioniert die Masche für die Populisten sehr gut, denn diese Lügen verdrängen sogar belegbare Fakten. Deshalb ist es so wichtig, sich zuerst mit seinen Vorurteilen zu befassen, bevor man die Wahrheit sucht. Und mit den eigenen Denkfehlern. Diese verzerren die Wahrnehmung nämlich, und ich möchte zeigen, wie man sich davor schützt. Der Schutz ist so einfach wie effektiv: Man muss die Denkfehler kennen, sich eingestehen, dass man selbst auch einen Denkfehler erleiden kann, und dann mit diesem Bewusstsein an die Ermittlung der Tatsachen herangehen. Klingt kompliziert, ist aber mit ein wenig Übung schnell umgesetzt.

Die eigenen Denkfehler und Vorurteile aufdecken

Wenn ich an dieser Stelle von Denkfehlern spreche, meine ich im Unterbewusstsein ablaufende Prozesse, welche zu einer Verzerrung der Wahrnehmung führen. Passiert den größten Intelligenzbestien. Ein klassisches Beispiel: das Groupthink-Phänomen. Dabei treffen kompetente Personen schlechtere oder realitätsfernere Entscheidungen, weil sie sich an die erwartete Gruppenmeinung anpassen. Versuchen Sie einmal, die Meinung und Vorannahmen Ihres Umfeldes auszublenden, zum Beispiel Feststellungen wie „alle Männer sind Schweine“. Suchen Sie stattdessen nach beweisbaren Fakten. Zum Widerlegen der obigen Aussage würde die Existenz eines einzigen Mannes, der eben kein Schwein ist, ausreichen und den Satz als das erscheinen lassen, was er ist: Eine bloße pauschale Meinung, die einer fundierten Tatsachenüberprüfung nicht standhält und damit auch nicht der Wahrheit entspricht.

Das Gleiche gilt für Vorurteile: Vorurteile sind keine Urteile im eigentlichen Sinne, sondern eine vorgefertigte Meinung, die nur darauf wartet, bestätigt zu werden. Sie sind weder gut noch schlecht. Sie gehören zu uns Menschen. Bei der Wahrheitssuche sind sie allerdings schlecht, weil sie den klaren Blick verstellen. Die „Besitzer“ von Vorurteilen können allerdings die nettesten Personen sein. Gestehen Sie sich ein, Vorurteile haben zu können. Achten Sie dann bei sich selbst darauf, wann Sie bei der Suche nach der Wahrheit vielleicht etwas als schlicht voraussetzen, ohne entsprechende Belege für diese Annahme zu haben. Das könnte ein Vorurteil sein. Viele Menschen stolpern über eine Lüge, die nur funktionierte, weil ein Vorurteil den Weg bereitet hat.

Friede, Wohlstand und ein menschliches Miteinander bleiben nur erhalten bzw. entstehen, wenn bei uns die Wahrheit wieder dauerhaft und unbedingt den Stellenwert einnimmt, den sie eigentlich haben sollte. Wenn uns Wahrheit wieder etwas bedeutet, auch über den eigenen Vorteil oder die nächste Möglichkeit, Geld zu verdienen hinaus – gleichgültig, ob man sich durch eine Lüge einen Vorteil in einem Geschäft verschafft oder ob es sich um eine Marketinglüge handelt. Unser aller Ziel sollte sein, dass wir auf die Frage „Wie oft haben Sie heute gelogen?“ mit einem klaren „gar nicht“ antworten können.

 

Buchtipp:

Lüg mich nicht an!
Wie du herausfindest, was andere verheimlichen
Markus Schollmeyer
Kösel 2021