Digitale Patientenakte

Die elektronische Patientenakte: Balanceakt zwischen Fortschritt und Datensicherheit

von Uwe Rühl

In der öffentlichen Diskussion ist es etwas untergegangen, aber im Herbst 2020 trat das Patientendaten-Schutz-Gesetz, kurz PDSG, in Kraft. Mit Jahresbeginn auch die elektronische Patientenakte (ePA). Die Idee, Diagnosen und Rezepte sicher zu digitalisieren, klingt zunächst einmal gut. Man könnte sogar das Gefühl bekommen, die Digitalisierung wäre nun endlich auch im deutschen Gesundheitswesen angekommen, jetzt, wo die Corona-Pandemie dafür gesorgt hat, dass wir uns zahlreicher digitaler Möglichkeiten erst einmal bewusstwurden und uns damit beschäftigten. Selbst ältere Menschen, die wir oft als nicht technik-affin abstempeln, nutzen inzwischen routiniert Zoom-Calls um mit den Enkeln in Kontakt zu bleiben.

Der Gesundheitssektor zieht nun also nach. Theoretisch. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass die Einführung der Elektronischen Patientenakte noch freiwillig erfolgt und, wie bei jeder Neuerung, wird es Anlaufschwierigkeiten geben und Ärzte, Krankenkassen oder Patienten, die nicht mitziehen wollen – aus Angst vor unzureichendem Datenschutz oder, weil sie mit einer neuen und zur Einführung auch nicht günstigen Lösung nicht umgehen wollen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die digitalen Möglichkeiten und Gefahren ausbalancieren – im Sinne aller Beteiligten.

Ein Recht auf Digitalisierung

Ab jetzt kann jeder Patient einfordern, dass Ärztinnen und Ärzte die elektronische Patientenakte, die Krankenkassen ihnen dann anbieten müssen, mit Daten befüllen. Das bedeutet, mehr Überblick über die eigenen Gesundheitsdaten. Aber besonders die Vernetzung von Ärzten beziehungsweise deren Behandlungen wird leichter und damit sinkt auch die Gefahr, dass beispielsweise von einem Arzt Tabletten verschrieben werden, die in Kombination mit einem Präparat, das ein anderer Behandler verschrieben hat, fatale Nebenwirkungen zur Folge haben. Dass dieser Vorteil dringend benötigt wird, zeigt eine Studie, die vor einiger Zeit am Klinikum Fürth von Prof. Dr. med Harald Dormann durchgeführt wurde. Der Chef der Notaufnahme spricht von etwa acht Prozent der Notfallpatienten, die wegen unerwünschter Medikamenten-Nebenwirkungen in die Notaufnahme kommen. Würde man das auf die gesamte Einwohnerzahl Deutschlands hochrechnen, ergebe das etwa 1,6 Millionen betroffene Bundesbürger pro Jahr. (Quelle: https://www.br.de/nachricht/medikamente-nebenwirkungen-fallstudie-100.html) Eine schockierend hohe Zahl.

Aber nicht nur die Medikamentengabe wird in der ePA dokumentiert. Es können Befunde, Arztberichte oder auch Röntgenbilder gespeichert werden. Ab 2022 lassen sich dann auch noch Impfausweis, Mutterpass, das gelbe U-Heft für Kinder und das Bonusheft für Zahnuntersuchungen dort speichern.

Und was ist mit Datensicherheit?

Jeder Versicherte entscheidet selbst darüber, welche Daten in der elektronischen Patientenakte gespeichert oder wieder gelöscht werden und darf in jedem Einzelfall darüber bestimmen, wer auf die „Akte“ zugreifen darf und wer nicht. Soviel zur Theorie. Kritiker sprechen hingegen von „unausgereiften“ Datenschutzregeln; so sei die Möglichkeit für Patienten, für jedes Dokument einzeln bestimmen zu können, wer darauf zugreifen kann, noch nicht zum Start vorgesehen – sondern erst ab 2022 möglich. Das bedeutet fürs erste Jahr ein vorläufiges „Alles oder Nichts“ bei den Datenfreigaben. Dieser Zustand erschwert das Vertrauen, um das Bundesgesundheitsminister Spahn wirbt, auch wenn die Daten auf „deutschen Servern“ gespeichert werden.

Laut Gesetz ist jeder Beteiligte Arzt, jedes Klinikum bis hin zur Apotheke direkt für den Schutz der verarbeiteten Daten verantwortlich sein. Ganz so einfach wird es aber nicht.

Es wird daher noch Debatten und jede Menge Klärungsbedarf beim notwendigen Datenschutz geben. Augenscheinlich fehlt es noch an grundsätzlichen Regelungen, wie beispielsweise der Zuteilung von Verantwortlichkeiten, aber auch an Hinweisen zum geplanten Vorgehen für die Umsetzung in der Praxis. Wer befüllt die Daten vor Ort eigentlich genau und wann? Uns stehen auf jeden Fall spannende Diskussionen bevor, die hoffentlich nicht unter gehen, denn bei Patientendaten handelt es sich um Daten der besonderen Kategorie: besonders schützenswert.

Nur wenn wir uns öffentlich und in der Breite mit diesem Balanceakt auseinandersetzen, wird es die notwendige Akzeptanz geben für die ePA geben. Sie muss den Alltag von Patienten und Ärzten leichter machen und einen Mehrwert generieren. Und das nicht nur auf dem Papier, sondern in der Praxis.