Die hybride Arbeitswelt lässt sich nicht mehr zurückdrehen
Teresa Hertwig verfügt über ein außergewöhnliches Gespür für Arbeitstrends. Bereits 2018, deutlich vor Corona, unterstützte sie Unternehmen, sowohl remote als auch hybride Arbeitsmodelle zu professionalisieren. Im Interview verrät sie, warum am besten alle Führungskräfte ihr Team wie ein Remote Team behandeln.
Frau Hertwig, was macht erfolgreiche, Remote Führung aus?
Remote Führung ist für mich dann erfolgreich, wenn ich eine gute Balance halte zwischen Produktivität und einem Teamgefühl, das in der Präsenzkultur oft rein durch Anwesenheit entstanden ist. Dass Führungskräfte für die Produktivität verantwortlich sind, ist klar. Die große Kunst besteht als Führungskraft darin, in einem remote oder hybriden Umfeld auch die Soft Skills zu beherrschen. In Anwesenheit muss ich nicht ganz so viel orchestrieren. Wenn sich ein Team nicht jeden Tag sieht, ist es allerdings wichtig, dass Chef:innen die ganze Klaviatur beherrschen und Führung durch Anwesenheit durch Führung mit Ergebnisorientierung ersetzen. Dafür brauchen sie ein Gefühl, ein Gespür dafür, wie es ihren Leuten geht und müssen sich regelmäßig fragen: Habe ich noch einen guten Zusammenhalt im Team? Das wird immer wichtiger.
Beobachten Sie auch den Trend bei vielen Unternehmen in Richtung „Zurück ins Büro“-Mentalität?
Ja, ich beobachte auch diesen Back-to-office-Trend, den Sie ansprechen. Immer mehr Unternehmen holen ihre Mitarbeitenden wieder vermehrt ins Büro zurück. Spoiler: Dieser Weg ist nicht einfacher. Viele, die jetzt zurückrudern, werden in wenigen Jahren merken: Wir müssen trotzdem den Transformationsprozess durchlaufen. Denn die hybride Arbeitswelt lässt sich nicht mehr komplett zurückdrehen. Und das ist auch gut so. Jetzt stellt sich die Frage: Sind wir bereit, sofort die Transformation durchzuführen und Ressourcen, Zeit, Geld und auch Nerven zu investieren? Oder gehen wir erst den Weg zurück ins Büro, um das Ganze dann in ein, zwei Jahren sowieso durchlaufen zu müssen.
Oft wird ein Mangel an Produktivität und eben der abnehmende Teamzusammenhalt kritisiert. Das interpretiere ich als Mangel an Bereitschaft, wichtige Hausaufgaben zu machen, damit hybrides Arbeiten dauerhaft erfolgreich funktionieren kann. Ich bin ganz sicher: Weder für Produktivität noch für ein echtes Teamgefühl müssen Teammitglieder in einem Büro sein.
Auch solche Artikel, die suggerieren, man muss ins Büro kommen, um Karriere zu machen, sehe ich als verzweifelten Versuch, die Uhr zurückzudrehen. Nachdem wir nun schon viele Jahre in der hybriden Arbeitswelt unterwegs sind, wie können wir immer noch die Präsenz als Gradmesser nutzen? Wenn jemand im Büro sitzt, kann er im Kopf genauso seine Einkaufsliste schreiben wie zuhause.
„Anwesenheit war noch nie das richtige Messinstrument dafür, ob jemand gute Arbeit abliefert oder nicht.“
Wenn ich einen Mitarbeitenden für eine Beförderung nur dann wahrnehme, wenn er mir vor der Nase im Büro rumläuft, ist das ein Indikator dafür, dass ich nicht ausreichend Zeit in Führung investiere. Das zeigt, dass ich als Führungskraft zum Beispiel keine One-to-one-Gespräche führe.
Ich plädiere aber auch nicht dafür, sich gar nicht mehr persönlich zu sehen. Jedes Remote Team, auch solche, die gar kein Büro mehr haben, trifft sich mindestens zwei bis vier Mal im Jahr zu sogenannten Workations. Denn ich kann einem Menschen natürlich ganz anders in einem physischen Raum begegnen. Das heißt aber nicht, dass alle wieder zwei bis drei Tage pro Woche im Büro sein müssen. Produktivität und Teamgefühl entstehen über die Art und Weise der Kommunikation und wieviel Zeit sich eine Führungskraft für Führungsthemen, konkret für den Austausch mit den einzelnen Teammitgliedern nimmt – egal ob sie im Büro sind oder nicht.
Wie sieht das konkret aus?
Sie müssen die Kommunikationsweise umstellen. Sonst haben sie Leute, die gerne ins Büro kommen, die weiter alles über den Schreibtisch besprechen. Und die, die hybrid arbeiten, die sind ausgeschlossen, die können nicht teilhaben und dann funktioniert der Wissenstransfer im Unternehmen nicht mehr.
Meine große Empfehlung an der Stelle ist immer: Auch wenn nur eine Person außerhalb des Büros arbeitet, dürfen alle in einer Remote Arbeitsweise arbeiten. Das ist die Eselsbrücke: Es handeln, arbeiten und kommunizieren alle so, als wären sie nicht in einem Büro. Dann gibt es zwar den persönlichen Austausch vor Ort. Aber die Dokumentation und die Arbeitsstrukturen, die Arbeitsweise, darf von allen so gelebt werden, als wären sie remote, damit keine Zweiklassengesellschaft entsteht.
Für die erfolgreiche Umsetzung hybrider Arbeitsmodelle wird ein klar definierter Teamkodex benötigt. Dieses Dokument sollte unter anderem Richtlinien für Kommunikation, Verfügbarkeit, Erreichbarkeit und die Erwartungen an die Reaktionszeiten umfassen. Der Kodex fördert ein einheitliches Verständnis aller Teammitglieder darüber, wie Interaktionen und Arbeitsabläufe zu gestalten sind, unabhängig davon, ob sie remote oder im Büro arbeiten.
Buchtipp:
Der Führungshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Teresa Hertwig u.a.
Mehr als 200 Jahre Führungswissen in einem Buch
ISBN 978-3-98640-019-4