Die Regeln des kreativen Schreibens
Ich weiß nicht, wer von euch in den 2000ern „Sex and the City“ geschaut hat. Bei mir war der Dienstagabend auf Pro7 fest geblockt – nicht verhandelbar. Alles andere wurde stehen und liegen gelassen. Vielleicht hing es mit meinem Faible für Mode, insbesondere Schuhe, zusammen, vielleicht auch mit meiner großen Faszination für New York City. Höchstwahrscheinlich war es aber vor allem mein unbändiger Drang zu schreiben und meine Suche nach einem Vorbild, die mich über Jahre immer wieder vor den Bildschirm lockten. Andere wollten bedeutungsvolle Politik-Journalistinnen werden. Ich wollte Carrie Bradshaw sein.
Während ich Journalismus studierte, schrieb sie im TV ihre Sex-Kolumne und immer, wenn ihre Kreativität am Schreibtisch nachließ, zog sie sich in ein kleines Café in der Nähe ihres Apartments in Manhattan zurück. Ich kam nicht umhin mich zu fragen, wie Schreiben im Café mit vielen Leuten und hohem Geräuschpegel funktionieren konnte? Heute weiß ich: Es klappt erstaunlich gut. Denn mit dem Lärm im Hintergrund und jede Menge „Leben“ um mich herum, kann ich prima fokussieren – fast so gut wie während einer Meditation.
Als meine Eltern mir meinen ersten Laptop schenkten, natürlich einen Apfel, wie Carrie, trieb ich mich stundenlang in Cafés herum und schrieb alles auf, was mir in den Sinn kam. Texte fürs Studium, erste Artikel für Zeitschriften und Reisemagazine und alles, was mir sonst noch so einfiel. Inzwischen entsteht kaum mehr ein Text zuhause am Schreibtisch. Fast jeder meiner Artikel und zumindest ein großer Teil der Buchprojekte, an denen ich beteiligt war, entstand und entsteht immer wieder in Cafés, Parks, Zügen, auf Flughäfen und in vielen Städten rund um dem Globus. Aber warum funktioniert das so gut und was sagt eigentlich die Wissenschaft dazu?
Regel No: 1. Kreativität entsteht „draußen“
Die meisten müssen nicht einmal in die Ferne schweifen, um kreativ zu sein. Kreativität bedeutet aber, immer wieder neue Eindrücke zu sammeln und daraus Ideen zu entwickeln. Neue Eindrücke bekommst du aber nicht auf deinem Bürostuhl, während du auf den Bildschirm starrst. Mich wundert es nicht, dass es immer mehr digitale Nomaden gibt. Ok, das Wetter in Deutschland lädt gerade dazu ein, den Laptop einzupacken und in sonnige Gefilde zu verschwinden. Aber manchmal reicht es auch schon, sich – wie Carrie Bradshaw – ins Café um die Ecke zu setzen und die Worte einfach fließen zu lassen. Wenn du keine Lust hast, Menschen beim Kaffeetrinken zu beobachten, geh spazieren, lass deinen Gedanken freien Lauf und nimm das ein oder andere Sprachmemo auf, wenn dir eine Idee kommt. Vielleicht reicht es auch, am offenen Fenster zu sitzen und in die Wolken zu schauen, damit deine Kreativität fließt. Du musst nur raus aus der Schreibtischroutine und dein Gehirn aus der gesteuerten Aktivität in den Ruhemodus versetzen. Dann kommen die Impulse oft wie von selbst. Du musst sie nur noch zu „Papier“ bringen.
Regel No. 2: Alle können kreativ sein
Ich weiß nicht, wie oft ich den Satz „Ich bin nicht so der kreative Typ“ von Familie, Freunden oder Kundinnen bereits gehört habe. Meine Antwort lautet jedes Mal: Jeder kann kreativ sein. Das ist so eine Sache mit den Glaubenssätzen. Wenn du es dir nur lange genug einredest, wirst du auf keinen Fall gute Themen und Einfälle generieren. Es sei denn, du schaltest dein Gehirn mal aus und lässt dich treiben. So wie im Halbschlaf – oder unter der Dusche. Hattest du noch nie eine zündende Idee, während du das warme Wasser am Morgen genießt? Wie oft bist du schon wach geworden und hast in der Aufwachphase etwas zusammengesponnen, was gar nicht so schlecht war. Das liegt daran, dass dein Kopf im Passiv-Modus läuft. Platz für ungefilterte Gedanken bedeutet Platz für unzensierte kreative Einfälle.
Regel No. 3: Nutze dein Netzwerk für Inspirationen
Achtung! Ich möchte hier auf keinen Fall zum Ideenklau ermutigen. Fakt ist aber, dass du das Rad nicht neu erfinden wirst. Wahrscheinlich gibt es keine Geschichte, die nicht schon einmal erzählt und keine Idee, die nicht schon einmal aufgeschrieben wurde. Wir sind permanent umgeben von den besten Stories. Das Leben ist so spannend – unser eigenes, aber auch das der anderen. Es spricht nichts dagegen, dass du dir Inspirationen aus deinem nahen und entfernten Umfeld holst, solange du sie selbst und auf deine unnachahmliche Weise weiterspinnst. Nutze alles, was um dich herum passiert. Jede Unterhaltung, jede Nachricht, jede Geschichte, die du hörst – alles tolle Inspirationsquellen. So mache ich das seit jeher – und zahlreiche Autor:innen, die ich kenne, nutzen ebenfalls ihr Netzwerk, um kreativ stets auf der Höhe zu bleiben. Daran ist wirklich nichts Verwerfliches, wenn du es mit Bedacht tust. Es soll schon Prozesse gegeben haben, weil Menschen sich in Texten und Büchern wiedererkannt haben oder weil Namen nicht verändert wurden, aber ihre Geschichte. Das möchtest du nicht erleben. Auch einen Plagiats-Streit gilt es zu vermeiden. Von anderen geschriebene Texte oder Dialoge ins Deutsche zu übersetzen hat nicht viel mit Kreativität zu tun. Etwas Neues und Eigenes aus vorhandenen Ideen zu entwickeln, darin liegt der Schlüssel und die große Kunst.
Regel No. 4: Trainiere deinen Kreativitätsmuskel
Denkst du auch manchmal „Ich bin doch nicht auf Knopfdruck kreativ!“, aber die Deadline für die Abgabe eines Textes rückt bedrohlich näher? Sei dir sicher, nur die wenigsten besitzen diese Gabe von Geburt an. Kreativität muss wie ein Muskel trainiert werden. Das ist wissenschaftlich belegt. Wenn er benutzt wird, wächst dein Kreativitätsmuskel und arbeitet zuverlässiger. Falls es also mal nicht so läuft, dann starre nicht auf ein leeres Stück „Papier“ sondern trainiere. Schreib zum Beispiel alles auf, was dir gerade in den Sinn kommt. Egal ob es mit dem Thema zu tun hat, über das du gerade schreiben solltest oder wolltest. Oft liegt der Einfallsreichtum im „Spinnen“ von Ideen. Alles ist erlaubt, selbst wenn du einfach nur, scheinbar stumpfsinnig, Wörter aneinanderreihst und von Hölzchen auf Stöckchen kommst. Wenn dir gerade mal nichts einfällt, dann liegt das oft daran, dass du – und dein Gehirn – gewohnte Wege betreten. Neue Synapsen werden aber nur dann gebildet, wenn wir regelmäßig etwas Neues tun. Probiere also immer wieder neue Methoden aus, um kreativ zu bleiben. Das trainiert deinen Kreativitätsmuskel und lässt ihn immer öfter auf Knopfdruck funktionieren.
Regel No. 5: Fang jetzt an
Es gibt keinen besseren Moment, um mit kreativem Schreiben loszulegen als genau jetzt. Du musst nicht gleich ein ganzes Sachbuch oder einen ganzen Roman abliefern. Es reicht für den Anfang überhaupt etwas aufs (virtuelle) Papier zu bringen. Die Ideen kommen oft mit dem Schreiben. Überfordere dich also nicht und setz dir zunächst kleine Ziele, die du leicht und täglich erreichen kannst. Das schafft Selbstvertrauen und übt dich in Schreibdisziplin. Es wird Tage geben, da kämpfst du damit, 100 Wörter zu schreiben und andere, an denen du so richtig im Flow bist. Dann schießt du bestimmt schon bald über deine Schreibziele hinaus.
Und was ist aus meinen Carrie-Bradshaw-Träumen geworden?
Ich bin meinem großen Vorbild ziemlich nahegekommen. Mein erstes Buch unter eigenen Namen entstand 2017 in zahlreichen Cafés in Brooklyn und Manhattan. Zwar habe ich bisher keine Sex-Kolumne geschrieben, aber ich verfasse regelmäßig eine Kommunikationskolumne für die Frankfurter Rundschau. Das ein oder andere paar Schuhe kann ich mir auch leisten und ich liebe es nach wie vor, draußen kreativ zu sein. Diesen und viele weitere Texte habe ich in Edinburgh angefangen, auf Gran Canaria fortgesetzt und auf Bali beendet. Carrie hat es nur bis nach Mexiko und einmal kurz nach Paris geschafft. Ihre PR-Agentin musste sie feuern, weil die Buchverkäufe nicht mehr so gut liefen. Ich habe gemeinsam mit einer Kollegin einen eigenen Verlag gegründet, der sich auch gleich noch um die PR für meine Bücher kümmert. Ich schreibe über das Schreiben, über Ängste, über Liebeskummer, Yoga und als Ghostwriterin auch über zahlreiche weitere Themen. Egal, worum es geht, mir fällt immer etwas ein. Inzwischen kann sich Carrie in Sachen Kreativität eine Scheibe von mir abschneiden.