
Employer Branding lebt nicht von Hochglanzkampagnen, sondern von echtem Dialog
Jeannine Halene ist diplomierte Wirtschaftswissenschaftlerin mit Schwerpunkt HR & Marketing. Seit 2011 leitet sie die Werbeagentur Rheinschurken und berät als Employer Branding Consultant namhafte Unternehmen – für ein besseres Generationen-Verständnis, eine produktivere Zusammenarbeit und eine Unternehmenskultur, in der High Performer gerne arbeiten.
Du stehst fachlich selbst zwischen HR und Marketing: Wo sollte Employer Branding im Unternehmen angesiedelt sein?
Die Entwicklung einer starken Arbeitgebermarke ist ein hochstrategisches Thema und damit aus meiner Sicht ganz klar Chefsache. Denn letztlich geht es um die Vision des Unternehmers oder der Unternehmerin: Wo soll die Reise hingehen? Was ist der Purpose des Unternehmens? Diese grundlegenden Fragen können nicht delegiert werden. Sie sind zentral für die Ausrichtung der Employer Brand. Damit verbunden ist auch die Definition der Employer Value Proposition: Wofür stehen wir als Arbeitgeber? Was wollen wir nach außen kommunizieren?
Ist dieser strategische Rahmen gesetzt, kommen natürlich unterschiedliche Bereiche im Unternehmen ins Spiel.
Employer Branding ist keine Einzelmaßnahme, sondern braucht ein Zusammenspiel verschiedener Gewerke: Kommunikation, HR, Führungskräfte. Aber der Impuls muss von ganz oben kommen.
Und: Die Rolle des Personalbereichs muss dabei neu gedacht werden. HR darf nicht länger nur administrieren, sondern muss als strategischer Partner in der Entwicklung und Umsetzung einer glaubwürdigen Arbeitgebermarke agieren.
In den HR-Abteilungen muss also ein grundlegendes Umdenken stattfinden … Warum ist das so?
Überspitzt formuliert arbeitete die HR bis vor wenigen Jahren eher verwaltend als gestaltend. Es gab viele Bewerbungen, man schaltete Stellenanzeigen und kümmerte sich um Prozesse. Doch diese Zeiten sind vorbei. HR benötigt heute neue Fähigkeiten. Die Verantwortlichen müssen Menschenversteher sein, ein echtes Gespür für unterschiedliche Generationen entwickeln und empathisch auf individuelle Bedürfnisse eingehen können.
Es geht längst nicht mehr um »Hire and Fire«, sondern um »Hegen und Pflegen«. Gute Mitarbeitende sind rar und die, die man hat, sollte man nicht nur halten, sondern auch weiterentwickeln. Das setzt ein tiefes Verständnis für Menschen voraus. Gleichzeitig hat sich das Aufgabenfeld erweitert: Onboarding, Preboarding, Offboarding, Employer-Review-Plattformen wie Kununu – all das verlangt kommunikative Kompetenz, Präsenz und Reaktionsfähigkeit.
Das klingt erstmal viel. Aber ich bin überzeugt: Wenn man die neuen Anforderungen einmal wirklich verstanden und in Prozesse überführt hat, funktioniert es gut. Entscheidend ist: Wir sprechen hier über eine komplett neue Rolle für HR und das überfordert viele verständlicherweise erst einmal. Deshalb arbeiten viele Unternehmen heute auch eng mit Beratern oder Agenturen zusammen, die HR-Teams begleiten, weiterbilden oder auch interimistisch unterstützen, um sie auf das nächste Level zu heben.
Welche Rolle hat die Marketingabteilung beim Employer Branding?
Das Marketing bringt für das Employer Branding schon einen großen Vorteil mit sich: Die Kolleginnen und Kollegen wissen, wie Kampagnenmechanik funktioniert. Wie schaltet man eine 360-Grad-Kampagne? Wie arbeitet man mit Agenturen zusammen? Welche Kanäle nutzt man wofür? Sie kennen die Prozesse, die Technik, die Timings – also das Handwerk.
Employer Branding funktioniert allerdings anders als Produktwerbung. Es geht hier nicht nur um Reichweite, sondern um Identifikation und Vertrauen. Was das Marketing und viele Unternehmen generell oft noch nicht im Blick haben: Die psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz ist eine der wichtigsten Anforderungen in Bezug auf bestehende und potenzielle Mitarbeiter:innen. Die Unternehmen müssen eine entsprechende Umgebung schaffen und nach innen und außen kommunizieren.
Leider fehlt in vielen Unternehmen die enge Zusammenarbeit zwischen HR und Marketing, die für ein gutes Employer Branding nötig ist. Es kommt nicht selten zu internen Reibereien – manchmal sogar zu kleinen Machtkämpfen. Genau dann oder um sowas von vornherein zu vermeiden, kann eine externe Beratung sinnvoll sein. Einerseits, um einen neutralen Blick reinzubringen, andererseits, um das Ganze zu moderieren und die beiden Bereiche miteinander ins Gespräch zu bringen und Prozesse sinnvoll zu verknüpfen.
Wichtig ist, dass die Arbeitgebermarke optisch und inhaltlich innerhalb des Unternehmens nicht völlig aus dem Rahmen fällt. Sie kann sich abheben, einen etwas anderen »Look and Feel« haben – aber sie muss sich trotzdem klar in die Gesamtkommunikation des Unternehmens einfügen. Farblich, inhaltlich, strategisch. Hier kann das Marketing wertvollen Input geben und sollte daher unbedingt mit am Tisch sitzen. Aber Achtung: Viele Unternehmen versuchen im Employer Branding zwanghaft jung und hip zu wirken, um die NextGen anzusprechen. Aber wenn dies nicht zur eigenen Identität passt, wirkt es schnell aufgesetzt und damit eher abschreckend als anziehend. Authentizität ist hier wichtiger als den neuesten Trends zu folgen.
Und das sorgt trotzdem für junge Bewerber:innen?
Ja. Das Wichtigste allerdings ist, sich auf Augenhöhe mit jungen Leuten zu begeben. Wenn ich wirklich verstehen will, wie sie ticken, was sie bewegt, dann entsteht echter Dialog. Zu versuchen, hip zu sein, indem man etwa ein Rapvideo produziert oder irgendeine vermeintlich coole Kampagne aus dem Boden stampft – aber ohne Substanz, ohne echtes Verständnis –, das geht meistens komplett nach hinten los. Insbesondere, wenn der Vorstand entscheidet, der eigentlich mit TikTok & Co. nichts anfangen kann, und das Ganze nicht strategisch im Gesamtkonzept eingebettet ist.
Eigene HR-Social-Media-Kanäle aufzubauen, ist hingegen eine gute Idee. Das haben wir vor Jahren beispielsweise bei Deichmann mit großem Erfolg umgesetzt. Die Inhalte, die gespielt wurden, waren gezielt auf junge Menschen ausgerichtet. Zudem haben wir junge Mitarbeiter:innen aus dem Unternehmen eingebunden: Sie haben unter Anleitung Inhalte selbst produziert, Videos gedreht, Beiträge gepostet. Gleichzeitig darf man nicht unterschätzen, wie komplex Social Media heute ist. Es reicht nicht, privat ein bisschen Instagram zu machen, denn es geht um Algorithmen, die sich ständig verändern, um Trends, die kommen und gehen, und um Plattformen mit jeweils ganz eigenen Mechanismen.
Kurz gesagt: Wer junge Zielgruppen wirklich erreichen möchte, braucht Toleranz, echtes Verständnis, Fingerspitzengefühl – und einen Plan.
Welche Bedeutung haben die eigenen Mitarbeiter:innen als Botschafter der Employer Brand?
Mitarbeitende, die sich freiwillig und überzeugt öffentlich für ihr Unternehmen stark machen, sind ein echter Gewinn fürs Employer Branding. Sie verleihen der Arbeitgebermarke ein Gesicht und schaffen durch ihre persönliche Ansprache Vertrauen. Gerade über Social Media kann das eine große Wirkung entfalten.
Wenn es um Glaubwürdigkeit und Nähe zur Zielgruppe geht, sind die eigenen Mitarbeiter:innen oft die besten Botschafter. Sie kennen das Unternehmen, wissen, wie es wirklich läuft, und können genau deshalb authentisch nach außen wirken. Daher ist es sinnvoll, sie gezielt einzubinden. Voraussetzung ist allerdings, dass man sie nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellt, sondern sie frühzeitig in die Entwicklung der Kommunikation einbindet. Es braucht Beteiligung: zuhören, Feedback einholen, Inhalte gemeinsam entwickeln.
Wenn ich als Unternehmen möchte, dass meine Mitarbeiter:innen mich glaubwürdig nach außen vertreten – ob auf Social Media, im Active Sourcing oder einfach im Freundeskreis – dann muss ich sie von Anfang an mitnehmen. In der Praxis heißt das: Mache ich beispielsweise eine Befragung zur Arbeitgebermarke, muss ich später auch die Ergebnisse kommunizieren. Mitarbeitende investieren Zeit und geben ehrliches Feedback – dann wollen sie auch sehen, dass das einen Unterschied macht. Oft werden deshalb Zwischenergebnisse intern vorgestellt, zum Beispiel in Townhall Meetings. Oder es werden gezielt Kolleg:innen gesucht, die Lust haben, an der Kampagne mitzuwirken oder sogar ein Gesicht davon zu werden. Wer beteiligt ist, erkennt sich in der Kommunikation wieder und steht dann auch dahinter. Das ist das Entscheidende. Denn: Niemand lehnt etwas ab, das er oder sie selbst mitgestaltet hat.
Wie gehst du typischerweise vor, wenn du ein Employer-Branding-Projekt in einem Unternehmen begleitest?
Am Anfang stehen immer die Unternehmenswerte und der Purpose – daran muss sich alles ausrichten. Aber es reicht eben nicht, wenn das nur von oben definiert wird. Gerade in größeren Unternehmen empfehle ich deshalb dringend, zunächst eine Umfrage unter den bestehenden Mitarbeitenden zu machen. Sie haben oft ein ganz anderes Gespür für die tatsächliche Kultur als die Führungsebene.
Diese Perspektive aus dem Inneren des Unternehmens ist extrem wertvoll. Bei großen Unternehmen führen wir manchmal zusätzlich auch externe Umfragen durch, um ein realistisches Bild davon zu bekommen, wie die Arbeitgebermarke aktuell wahrgenommen wird. Dann folgt eine klassische Analyse: Wo steht das Unternehmen? Was sind seine Stärken und Schwächen? Wer ist Mitbewerber – sprich: Wo könnten Mitarbeitende alternative Arbeitgeber finden? Auch das direkte Umfeld spielt eine Rolle.
Ein weiterer zentraler Baustein in unserer Strategie ist der sogenannte »Employee Life Cycle«. Denn um Employer Branding wirklich ganzheitlich zu denken, reicht es nicht, nur das Recruiting zu betrachten. Es geht darum, alle Phasen der Reise mitzudenken.
Der Employee Life Cycle beschreibt im Grunde alle Phasen, die Mitarbeitende durchlaufen – vom ersten Interesse bis weit über das Arbeitsverhältnis hinaus. Das beginnt mit der Phase, die wir Attraction nennen: Jemand stößt auf das Unternehmen und findet es potenziell spannend. Dann kommt das Recruitment, also der eigentliche Bewerbungsprozess. Habe ich den Bewerbenden von mir als Arbeitgeber überzeugt, folgt das Onboarding. Und dann – ganz wichtig – kommt die Phase der Weiterentwicklung: Development. Gerade die jüngere Generation legt großen Wert auf lebenslanges Lernen.
Später findet dann das Offboarding statt. Und nein, das ist nicht gleichzusetzen mit etwas Negativem. Klar, sind Entlassungen gerade leider ein zentrales Thema in der deutschen Wirtschaft, aber abseits dessen ist es ganz normal, dass Menschen den Job wechseln, in Rente gehen oder sich selbstständig machen. Entscheidend ist, wie dieser letzte Eindruck vom Unternehmen gestaltet wird. Denn wenn jemand das Unternehmen im Unfrieden verlässt, trägt er seine Enttäuschung womöglich nach außen – zum Beispiel über Bewertungsplattformen im Internet. Und das kann dem Ruf als Arbeitgeber schaden. Deshalb denken manche Unternehmen auch schon einen Schritt weiter und bauen ein Alumniprogramm auf. Ehemalige Mitarbeiter:innen bleiben so mit dem Unternehmen in Kontakt, empfehlen es eher weiter oder können ohne große Einarbeitung später wieder eingestellt werden. Ich sage immer: Wenn der Rentner am Küchentisch seinem Sohn sagt, »Das war ein großartiges Unternehmen – bewirb dich da ruhig«, dann schließt sich der Kreis.
Buchtipp:
Der Kommunikationshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Jeannine Halene u.a.
ISBN 978-3-98640-030-9