Unethical, Frau zerschneidet Schriftzug

Kolumne: Und die Moral von der Geschicht’? Über die vermeintlich ethische Unternehmenswelt

von Katharina Beitz

Ethische Brands, nachhaltige Unternehmen und Plattformen sprießen seit Jahren wie die Alpenveilchen aus dem Boden. Mal retten sie ganze Wälder, pflanzen Bäume pro verkauftes Shirt, bezahlen die Versorgung eines ganzen Dorfes, verzichten auf Chemikalien oder Kunststoffe und schaffen damit ein Bewusstsein, wo vorher keins war. Die Idee ist gut.

Was ist ethisch?

Dem Verbraucher fehlt bei der Vielzahl von Angeboten leider oft der Durchblick. Deshalb gibt es Zertifikate und Siegel – alleine im Fashionbereich sind das Hunderte – die von Organisationen oder auch Plattformen vergeben werden. Diese Plattformen übernehmen häufig auch die Kommunikation, schreiben Artikel über neue Player, kurbeln damit die Marketingmaschine an und stellen sicher, dass jede Website, die bei ihnen gelistet wird, ihre ethischen Kriterien erfüllt. Die Marken erhalten im Gegenzug einen Hauch mehr Glaubwürdigkeit.

MOCHNI – die faire Plattform als Beispiel einer pervertierten Zertifizierungswelt

Eine von diesen Plattformen ist MOCHNI, über deren Stellenanzeige ich vor einigen Wochen stolperte. MOCHNI suchte nach einer Freelancerin als Brand Partnerships Managerin (m/w/d) und listete über ein Dutzend unterschiedliche Anforderungen auf, darunter schwere Kolosse des Marketings und Sales Managements: Markenkonzeption, Akquise von 100+ Kunden pro Tag, Kundenpflege, Kommunikation, Social Media und Copywriting. Insgesamt entsprachen die Anforderungen einem ziemlich anspruchsvollen Job, der mit 20 Stunden in der Woche für einen selbständigen Profi knapp berechnet ist. Bezahlen wollten sie 15 Euro pro Stunde – immerhin netto. Das zusätzlich noch tägliche, wöchentliche und monatliche Reports erwartet wurden, sowie Redaktionsbriefings, Informationspflege und eine Budgetübersicht, überrascht wohl kaum. Alles sollte mit dem eigenen Laptop geleistet werden.

Sie können jetzt fragen, warum mich das interessiert – es muss ja keiner den angebotenen Job machen. Weil MOCHNI sich als Verzeichnis für „ethical brands“ und „conscious people“ ausgibt. Die Stellenanzeige hat aber viel mehr mit Ausbeutung zu tun als mit ethischer Korrektheit. Und ich bin sicher, MOCHNI steht für viele andere schwarze Schafe in einer Unternehmenswelt, die das Wort „ethisch” als marketingrelevantes Adjektiv entdeckt hat, aber noch nicht genau weiß, was das eigentlich für sie heißt.

Ethisches Branding beginnt bei fairer Bezahlung

Mein erster Impuls war: Die haben bestimmt eine Null beim Stundenlohn vergessen. Als mir aber klar wurde, dass sie diesen Stundensatz ernst meinten und der auch bei den anderen Leser:innen Entsetzen auslöste, veröffentlichte ich über meine Social Media Kanäle Screenshots davon. Ein unmoralisch niedriger Stundensatz im Zusammenhang mit ethical branding und einer ethischen Arbeitswelt passt einfach nicht zusammen.

Rufen wir uns doch kurz ins Gedächtnis, worüber wir hier reden: Ein Unternehmen bezeichnet sich als ethisch agierende Plattform. So ethisch korrekt, dass diese sogar eine eigene Zertifizierung ins Leben ruft, um unabhängig und glaubwürdig über ethisches Handeln in der Fashionindustrie zu kommunizieren. Und hier liegt dann auch schon der Kern des Problems, das uns im Lebensmittelhandel, in der Kaffeeindustrie, im Biosupermarkt oder halt im Business um bewusste Fashionlabels begegnet:

Wir brauchen unabhängige Zertifizierungen – oder gar keine

Diese Zertifikate sollten über die reine Kontrolle der teilnehmenden Unternehmen hinausgehen. Auch die Organisationen, die so etwas entwickeln, gehören an den eigenen Kriterien und noch einigen mehr gemessen. Warum ist das so wichtig? Niemand würde behaupten, MONCHI als einen unabhängigen Zertifizierer zu bezeichnen. Wer davon abhängig ist, dass andere Unternehmen der eigenen Marke mehr Reichweite bringen und dieses Siegel nutzen (und bei 15 Euro angebotenen Stundenlohn liegt der Gedanke nahe, dass es da finanziell noch ein gutes Stückchen braucht), kann sich nicht als unabhängiger und vertrauenswürdiger Zertifizierer hervortun. Wer Bio-Siegel verteilt, aber davon abhängig ist, dass die Bananenplantage nebenan mitmacht, wird halt auch mal ein Auge zudrücken. Oder auch mal beide.

Zugegeben, das was MOCHNI ausmacht, kommt dutzendfach in anderen Industrien vor – und funktioniert. Das ist aber noch lange kein Grund es einfach still zu akzeptieren. Die Halbwertzeit dieser Marketingmaschinerie wird immer kürzer, ein Beweis ist dieser Artikel. Die schnelle Reaktion von MOCHNI, nachdem Kritik laut wurde, die Stellenanzeige abzuändern, zeigt, wieviel die Außenwahrnehmung bedeutet und dass jeder Besitzer eines noch so kleinen Accounts die Macht hat, ein Problem direkt anzusprechen und an die Öffentlichkeit zu bringen.

Unternehmen werden immer effektiver und auch offensiver an ihren eigenen Aussagen gemessen – und können sich durch die eigenen digitalen Fußspuren auch nicht so schnell herausreden. An den Haaren herbeigezogene Zertifikate sind da keine Ausnahme. Das Bewusstsein über Sinn und Unsinn dieser Siegel steigt. Zwei Beispiele:

  1. Früher reichte das MSC-Label auf Tiefkühlfisch aus, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Inzwischen gibt es Dokus wie Seaspiracy bei Netflix, die so ein Siegel mal eben aushebeln.

  2. Wer einmal im Freundeskreis eine Debatte über Bio-Siegel angefangen hat, staunt, wie wenige eigentlich an diese Zertifizierungen glauben.

Ich empfehle jedem, der sich einmal mit den falschen Versprechen von Zertifizierungen und ethischem Handeln auseinandersetzen möchte, diese umfassende Studie zu lesen, die vor allem die Probleme der Textilindustrie ausufernd analysiert.

Zertifikate oder echtes Handeln?

Konsument:innen hören und sehen inzwischen genau hin. Menschen werden sich der Kraft bewusst, die ihre Einkäufe und ihre Perspektive auf Produkte haben. Wo sich früher Marken hinter Zertifizierungen und Bio-Siegeln verstecken konnten, gibt es immer mehr Aufklärung wie diese Siegel zustande kommen und welche Auswirkung diese in der Realität haben. Wenn Unternehmen heute „ethische Korrektheit” als einen ihrer Werte hochhalten, werden auch die Stundenlöhne, die sie bezahlen, genauer angeschaut. Und genau so sollte es sein. Zurzeit betrifft das vor allem jüngere Unternehmen, weniger die etablierten Großkonzerne, die eine riesige Marktdurchdringung erzeugen und alleine damit noch mehr Wachstum erzeugen können. Doch auch bei ihnen kommt Bewegung ins Spiel. Informationen, die vorher entweder niemanden interessiert haben oder einfach nicht genug Reichweite erzielen konnten, dringen heute nach außen.

Endlich verändert sich etwas – selbst in einer Welt, in der Großkonzerne daran gewöhnt sind, null Euro Unternehmenssteuer – in Deutschland Körperschaftssteuer – zu zahlen. Sogar in den USA wird zurzeit wieder einmal die Corporate Tax diskutiert. In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es viele Geschenke an das Corporate America – wie auch in vielen anderen Ländern. Unternehmen, die sonst ausschließlich bedacht auf Wachstum waren, machen in dieser neuen Debatte nun einen überraschenden Schwenk. Sie unterstützen das Bestreben nach der eigenen Steuererhöhung, verteidigen es sogar. Das machen sie keinesfalls aus gutem Glauben an die Menschheit und weil ihnen vorgestern eingefallen ist, dass Steuern zu zahlen irgendwie auch dazugehören könnte, sondern nur, weil sie die Wut der Verbraucher und die Konsequenzen daraus fürchten.

Außerdem spielen Themen wie Klimagerechtigkeit, einst nur ein Nischenthema, oder digitale Rechte eine immer größere Rolle. Selbst lokale Konflikte können schnell zu globalen Bewegungen werden. Menschen beziehen Stellung über nationale Grenzen hinweg und ja, sie lassen auch mal ein Unternehmen fallen oder auferstehen. Sind das etwa Zeichen dieser sagenumwobenen Cancel Culture? Ein klares Nein. Es ist das wachsende Bewusstsein einer kritischen Masse, die keine Lust mehr hat sich mit Pflastern zu helfen, wenn es doch der OP am offenen Herzen bedarf.