Führungskräfte sind Bindeglieder im Unternehmen, deren Aufgabe es ist, Menschen in Interaktion zu bringen, so dass Synergien und Erfolg entstehen
Nicole Pathé bringt ihre Expertise in agiler Unternehmenskultur und Leadership seit über drei Jahrzehnten in mittelständischen Unternehmen ein, um sie in den Bereichen Personal- und Organisationsentwicklung zu unterstützen. Im Interview betont sie die zentrale Bedeutung von Führungskräften im Bereich Relationship-Management.
Frau Pathé, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Feigling oder Führungskraft“. Ist Feigheit verbreitet unter Führungskräften, und was bedeutet für Sie Führung?
Feige Vorgesetzte belasten die Zusammenarbeit und verhindern Erfolg. Sie scheuen schwierige Entscheidungen, vermeiden Konflikte und tun sich schwer damit, Fehler einzugestehen. Genaue Zahlen zur Verteilung kann ich Ihnen nicht nennen, aber jeder Feigling in der Führungsetage ist einer zu viel, denn Feigheit und Führung passen nicht zusammen. Eine feige Führung kann zu einem Mangel an Richtung, zu Unklarheit und Frustration führen. Führung verlangt die Fähigkeit und Bereitschaft, passgenaue Maßnahmen zu ergreifen, um Herausforderungen zu meistern und das Unternehmen voranzubringen. Ich lege den Fokus daher lieber auf die Kehrseite, die der Feigheit gegenübersteht. Bei der Arbeit mit Führungskräften stelle ich immer wieder fest, dass es vor allem auf die innere Haltung ankommt. Zu dieser Haltung gehört ganz wesentlich eine gute Portion Courage.
Nur wer kritische Sachen anspricht, kann sie verändern. Und zwar in alle Richtungen: Dem Team gegenüber müssen sie Dinge auf den Punkt bringen und Probleme ansprechen, wenn sie merken, dass im Team etwas gärt. Genauso bei den Kolleg:innen auf der gleichen Hierarchieebene und – was sicher die größte Überwindung kostet – bei ihren eigenen Vorgesetzten. Courage ist außerdem notwendig, um Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Gerade in unserer von Schnelllebigkeit geprägten Arbeitswelt ist Risikobereitschaft eine Tugend. Wer sich in alle Richtungen absichern will, bevor er oder sie eine Entscheidung trifft, ein eigenes Statement abgibt oder Kritik übt, handelt am Ende gar nicht mehr.
Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte in Unternehmen heute noch?
Führungskräfte müssen sich als Bindeglieder zwischen Mitarbeitenden unterschiedlicher Ebenen und Funktionen verstehen, die Dialog und Zusammenarbeit als Schlüssel für Erfolg sehen. Eine elementare Aufgabe von Führungskräften ist daher, dieses Selbstverständnis als Bindeglied zu entwickeln, sich als Netzwerker im Unternehmen zu verstehen. Und auch das eigene Team ist umso erfolgreicher, je besser ich seine Mitglieder ins Unternehmen vernetze. Wenn ich bei Führungskräfte-Workshops in Unternehmen bin, lade ich meine Teilnehmer:innen deshalb oft ein, ein Soziogramm zu erstellen.
Wie sieht so ein Soziogramm aus?
Dafür nehmen sich Führungskräfte einfach ein Blatt Papier, schreiben ihren Namen oder ihre Initialen in die Mitte und außen herum die Namen der Menschen im Unternehmen, mit denen sie besonders häufig zu tun haben, die sozusagen die Stakeholder für ihren Erfolg sind. Das kann jemand aus einer Nachbarabteilung sein, von einem anderen Standort, eine Person aus dem Vorstand, auf jeden Fall ihr Vorgesetzter und ihre Teammitglieder. Im Anschluss bitte ich die Führungskräfte zu reflektieren: Wie sind aktuell die Beziehungen zu diesen Menschen? Damit es übersichtlich bleibt, reduziert auf drei Darstellungsformen:
- Sind Sie der Meinung, zu einer Person eine positive, konstruktive Arbeitsbeziehung zu haben, ziehen Sie von sich zu ihr eine durchgezogene Linie.
- Meinen Sie, Sie haben zu jemandem eine angespannte Beziehung – aus welchem Grund auch immer – zeichnen Sie eine gestrichelte Linie, eine Linie mit Unterbrechungen.
- Gibt es eine Person, bei der Sie es nicht einschätzen können, nicht Fisch, nicht Fleisch, stellen Sie das in einer Wellenlinie dar. Ob dieser Mensch morgen aus dem Unternehmen ausscheidet oder nicht, würde Sie nicht besonders tangieren.
Auf Ihrem Blatt Papier sind jetzt möglichst viele durchgezogene Linien, aber vermutlich auch gestrichelte und wellenförmige. Die gefährlichsten Linien sind allerdings nicht, wie man meinen könnte, solche, die angespannte Beziehungen symbolisieren. Die erfolgskritischen Beziehungen sind die neutralen. In dem Moment, in dem mir egal ist, ob die Person im Unternehmen arbeitet oder nicht, habe ich gar keine wirkliche Beziehung zu ihr aufgebaut. Das torpediert den Gedanken, gemeinsam erfolgreich zu agieren. Sowohl bei neutralen als auch bei angespannten Verbindungen besteht auf jeden Fall Handlungsbedarf. Wer hier nicht Zeit und Energie investiert, bekommt die Beziehungen nicht nach vorne. Müssen Sie bei einem Mitarbeiter in Ihrem Team ehrlicherweise zugeben, dass Sie eine neutrale Linie ziehen müssen, heißt das mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass Sie hier Ihrer Führungsrolle (noch) nicht wirklich gerecht werden und noch mehr zum Relationship-Manager werden müssen.
Buchtipp:
Der Führungshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Nicole Pathé u.a.
Mehr als 200 Jahre Führungswissen in einem Buch
ISBN 978-3-98640-019-4