führungsqualität messen

Führungsqualität ist messbar und hängt wesentlich von einem situationsgerechten Einsatz verschiedener Führungsstile ab

von Cornelia Tanzer

Die Diplom-Psychologin Dr. Cornelia Tanzer ist seit mehr als 20 Jahren auf Managementdiagnostik und Führungskräfteentwicklung spezialisiert. Im Interview spricht sie darüber, wie sich Führungsqualität messen lässt und was es bedeutet, über eine „Full Range of Leadership“ zu verfügen.

Wie lässt sich die Qualität und Wirksamkeit von Führung messen?

Mit verschiedenen Instrumenten. Eins davon nennen wir den „Führungsfächer“. Dahinter steckt ein Modell, das sechs Führungsstile abbildet. Wir gehen dabei von Folgendem aus: Wenn Führungskräfte diese sechs Führungsstile beherrschen, verfügen sie über eine sogenannte Full Range of Leadership. Wenn sie zusätzlich in der Lage sind, zu entscheiden, in welcher Situation und bei welchen Mitarbeiter:innen sie welchen Führungsstil am besten nutzen, erzielen sie die größte Wirkung und die besten Ergebnisse. Die Grundlage für eine Messbarkeit ergeben sich aus den Definitionen der sechs Führungsstile mit ihren unterschiedlichen Kriterien, die wir aus Wissenschaft und Forschung destilliert und benannt haben.

Modern zu führen, bedeutet nach unserer Auffassung vor allem, eine ganze Klaviatur, eine ganze Bandbreite an Führungsstilen zu beherrschen, und nicht nur den einen Stil oder die zwei Führungsstile konsequent anzuwenden, die der eigenen Persönlichkeit am nächsten liegen. In einem Online-Fragebogen lassen wir die Führungskraft ihr eigenes Führungsverhalten und die von ihr eingesetzten Führungsstile einschätzen. Die Ergebnisse daraus setzen wir dann in Relation zu den Angaben tausender anderer Führungskräfte und bekommen so eine valide Aussage dazu, ob ein Führungsverhalten in einem bestimmten Führungsstil durchschnittlich, überdurchschnittlich oder unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Weiterhin empfehlen wir unbedingt, zusätzlich ein Fremdbild bei den Mitarbeiter:innen einzuholen. Denn es ist eine Sache, was ich als Führungskraft beabsichtige zu tun bzw. das, was ich glaube zu tun. Viel entscheidender ist aber: Wie kommt mein Handeln in der Zielgruppe meiner Mitarbeiter:innen an? Für das Fremdbild erfassen wir streng anonymisiert immer Einschätzungen von mindestens vier Mitarbeiter:innen. Beide Profile können wir dann übereinanderlegen und vergleichen.

Ergeben sich in der Regel große Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdbild?

Ja, häufig. Zum einen bei der Ausprägung der jeweiligen Führungsstile, wenn ich einschätzen soll, wie intensiv und wie häufig ich ein Führungsverhalten einsetze. Und zum anderen, wenn es darum geht, wie situationsangemessen mein Führungsverhalten ist. Es geht um ein Gespür, das ich als Führungskraft entwickeln muss – dafür, bei wem und wann welches Führungsverhalten passend ist. Überraschungen gibt es etwa, wenn Mitarbeiter:innen einen bestimmten Führungsstil zwar wahrnehmen, aber ihn nicht als situationsangemessen empfinden. Grundsätzlich gibt es Führungskräfte, die sich sehr passend einschätzen, aber auch oft Führungskräfte, die sich kolossal über- oder unterschätzen. Die Mitarbeiter:innenperspektive ist immer die wichtigere, weil wir erreichen wollen, dass die Führungskraft sich stärker in ihrem Verhalten beobachtet und ihr Selbstbild ein Stück weit korrigiert. Das fördert Erkenntnisprozesse und führt zu mehr Wirksamkeit, denn wenn die Führungskraft ein realistisches Selbstbild hat, also, wenn sie recht genau einschätzen kann, wie das, was sie tut, wirkt, dann ist ihr Handeln zielgerichteter. Wenn sie das dagegen nicht so genau absehen kann, verpufft viel von der eingesetzten Energie.

Was passiert, wenn eine Führungskraft nur einen, zum Beispiel einen coachiven Führungsstil, anwendet?

Es gilt die Grundregel, dass jede Einseitigkeit nicht zielführend ist. Das zeigen uns auch die Daten immer wieder. Wenn ich beispielsweise nur in der Rolle als Coach unterwegs bin, dann bleiben bestimmte Aufgaben liegen und die Ergebnisse werden nicht vorangetrieben. Der coachive Führungsstil ist eher langfristig orientiert und fordert außerdem viel Zeit. Mit Sicherheit tauchen im Führungsalltag aber Themen auf, die schnell gemanagt werden müssen, und dafür ist dieser Stil nicht geeignet. Das wäre ein bisschen so, als ob in einer Unfallsituation der Notarzt zunächst seinen Assistenzarzt coacht und sich dann erst um den Patienten kümmert.

Buchtipp:
Der Führungshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Cornelia Tanzer u.a.
Mehr als 200 Jahre Führungswissen in einem Buch
ISBN 978-3-98640-019-4