selbstbild und fremdbild bei führungskräften

Führungsstile: Warum die Selbst- und Fremdwahrnehmung bei Führungskräften auseinandergeht

von Cornelia Tanzer

Es gibt verschiedene Führungsstile. Im besten Fall beherrscht eine Führungskraft alle. Denn je nach Situation und Mitarbeiterin oder Mitarbeiter ist es sinnvoll, auf unterschiedliche Art zu agieren. „Full Range of Leadership“ nennt sich das Konzept, von dem viele Führungskräfte meinen, dass sie es leben. Doch die Realität sieht oft anders aus: Das Selbstbild der Führungskraft stimmt häufig nicht mit der Wahrnehmung der eigenen Teammitglieder überein. Das bedeutet, dass sie nicht so wirksam führen, wie sie selbst denken. Diese Schere zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung lässt sich allerdings diagnostizieren und dadurch die eigene Performance und die des Teams verbessern.

Die 6 Führungsstile

Um zunächst zu verstehen, was die „Full Range of Leadership“ umfasst, eine kurze Vorstellung der sechs Führungsstile::

Der normative Führungsstil

Führungskräfte, die überwiegend den normativen Führungsstil einsetzen, messen die Arbeit von Mitarbeitenden am eigenen Leistungsanspruch. Daraus ergeben sich eine hohe Qualitätserwartung und oft klare Anweisungen, wie bestimmte Aufgaben umzusetzen sind. Es wird nicht nur vermittelt, was getan werden soll, sondern auch, wie es getan werden soll. Angemessen kann dieses Führungsverhalten bei unerfahrenen Mitarbeitenden oder in einer Krise sein, wenn Dringlichkeit vorherrscht und klare Ansagen gefordert sind.

Der direktive Führungsstil

Führungskräfte, die eine klare Erwartungshaltung formulieren und ein gewünschtes Ergebnis beziehungsweise Ziel vorgeben, führen direktiv. Sie räumen den Mitarbeitenden einen hohen Freiheitsgrad ein, um das Ziel zu erreichen. Allerdings beziehen sie sie selten in den Entscheidungsprozess ein und setzen eine einmal getroffene Entscheidung auch gegen Widerstand konsequent durch. Klassisch für den direktiven Führungsstil ist die Formulierung: „Wie Sie das hinbekommen, ist egal – Hauptsache…“ Hilfreich ist ein solches Verhalten, wenn lange Meinungsfindungsprozesse zu keinem Ergebnis führen würden und Aufwand und Nutzen einer Diskussion im Ungleichgewicht stehen.

Der partizipative Führungsstil

Dieser Stil markiert die fließende Grenze von transaktionaler zu transformationaler Führung. Einerseits informiert die Führungskraft hier offen und transparent ihr Team über die Aufgaben und Ziele (transaktional). Andererseits bindet sie ihre Mitarbeitenden frühzeitig in Entscheidungen ein und ermöglicht ihnen so Wachstum. Dabei pflegt sie einen kooperativen, fast schon demokratisch zu bezeichnenden, Umgang (transformational). Bei erfahrenen Teams kann das sinnvoll sein. Zudem dann, wenn Handlungsspielräume für die Mitarbeitenden bestehen. In Change-Prozessen werden dadurch außerdem mögliche Widerstände vermieden. Müssen Aufgaben jedoch schnell und auf eine klar vordefinierte Weise durchgeführt werden, behindert dieser Stil den Arbeitsfluss. Auch sind unerfahrene Mitarbeitende dann mit dieser Art der Führung überfordert.

Der integrative Führungsstil

Hier fokussiert die Führungskraft auf den Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden, gute zwischenmenschliche Arbeitsbeziehungen und eine harmonische Zusammenarbeit. Der Stil zielt darauf ab, auch in heterogenen Teams eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen und Konflikte frühzeitig konstruktiv zu bearbeiten. Er integriert unterschiedliche Meinungen, Persönlichkeiten und interkulturelle Aspekte. Dieses Führungsverhalten ist insbesondere dann angebracht, wenn Aufgaben eine gemeinsame Teamleistung erfordern und alle Mitarbeitenden um die individuell vorhandenen Stärken im Team wissen sowie teamorientiert miteinander umgehen. Es trägt auch entscheidend dazu bei, dass sich alle Teammitglieder mit den Aufgaben und Zielen identifizieren.

Der coachive Führungsstil

Führungskräfte, die coachiv führen, stellen die Entwicklung der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt. Sie kennen deren jeweilige Stärken und Entwicklungspotenziale und leisten mittels gemeinsamer Reflexionen und Perspektivwechsel Hilfe zur Selbsthilfe. Nach der Maxime „fordern und fördern“ lässt die Führungskraft Mitarbeitende an herausfordernden Aufgaben wachsen und unterstützt sie. Dieser Stil ist vor allem bei motivierten Mitarbeitenden sinnvoll, die sich entwickeln wollen.

Der inspirative Führungsstil

Inspirativ führt eine Führungskraft, wenn sie durch die Kommunikation der gemeinsamen Mission und eines übergeordneten Sinns von Arbeit die Eigenmotivation der Mitarbeitenden aktiviert. Indem sie die Attraktivität des angestrebten Zielzustandes kommuniziert und entsprechende „Bilder in den Köpfen“ erzeugt, kreiert die Führungskraft Begeisterung und eine langfristige Orientierung. Gerade in Veränderungsprozessen und bei der emotionalen Bewältigung von Krisen kann dieser Stil effektiv sein. Bei fehlender Reife und zu wenig Vertrauen sowie in akuten Krisensituationen, die schnelles Handeln erfordern, ist er jedoch eher kontraproduktiv.

Diagnostik: Das Selbstbild

Es ist häufig eine Gratwanderung zwischen den verschiedenen Stilen. Oftmals glauben Führungskräfte, sie jeweils angemessen zu nutzen. Aber würden das auch alle Teammitglieder bestätigen? Nur, weil die Intention der Führungskraft in die eine Richtung geht, wird sie noch lange nicht von anderen genau so wahrgenommen. Daher ist es sinnvoll, das individuelle Führungsstil-Portfolio messbar zu machen. Mit einer Online-Befragung ist das möglich: Die Führungskraft schätzt sich zunächst selbst ein, zur Fremdeinschätzung werden Teammitglieder eingeladen.

Ein Beispiel: Senior VP Automotiv Development Stefan Krohn* schätzt sich selbst so ein, dass er auf der gesamten Klaviatur spielen kann. Ein Bereich kommt in seinen Augen vielleicht etwas zu kurz: „Für den coachiven Stil habe ich wahrscheinlich einfach zu wenig Zeit“, reflektiert er, „aber in dieser momentan unsicheren Situation ist es bestimmt für alle Beteiligten super, dass ich mit meiner normativen und direktiven Führung klare Ansagen mache. Ich schaffe es auch, zu inspirieren und mit Blick auf den großen Change unsere Vision hochzuhalten sowie dabei allen genügend Leine zu geben.“

Diagnostik: Das Fremdbild

Die Auswertung der Mitarbeitenden fällt jedoch anders aus: Nur mit dem normativen und direktiven Stil liegt er tatsächlich ganz vorne, enorme Abweichungen gibt es indes beim partizipativen und inspirativen Stil. „Ich scheine mein Team doch nicht so sehr inspirieren zu können und gehe vielleicht doch nicht immer so kooperativ vor, wie ich denke“, reflektiert Krohn.

Mit dieser Erkenntnis ist er nicht allein. Meiner Erfahrung nach kommt es häufig zu Fehlinterpretationen: Führungskräfte meinen etwa, sie führen coachiv, wenn sie in Wirklichkeit wohl gemeinte Ratschläge erteilen und damit in der Fremdwahrnehmung eher normativ unterwegs sind. Eine große Nähe besteht außerdem zwischen dem direktiven und dem inspirativen Führungsstil. Beide geben Orientierung in Richtung auf ein Ziel hin: Der direktive Stil jedoch mit einer direkten Anweisung, und der inspirative Stil eher damit, einen attraktiven Zielzustand zu entwerfen.

Transferworkshop: Die Arbeit an konkreten Beispielen

Im Austausch mit den Mitarbeitenden über Selbst- und Fremdbild können Führungskräfte wertvolle Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Führungsstile sie wirklich nutzen, als auch darüber, ob sie sie der Situation angemessen einsetzen. Sinnvoll ist daher, einen Transferworkshop zu veranstalten, wo Führungskräfte und Mitarbeitende konkrete Beispiele anbringen. So geschehen im Falle von Krohn: Im Workshop schildert er Situationen, in denen er meint, coachiv geführt zu haben, und einige, in denen er dachte, inspirativ unterwegs gewesen zu sein. Sein Eindruck: „Ich habe doch die Vision, die im Vorstand entwickelt wurde, bei jeder erdenklichen Gelegenheit im Team kommuniziert.“ Da er jedoch Nutzen und Vorteile dieser Vision für die Teammitglieder nicht vermittelt hat, war diese ständige Wiederholung für sie wenig inspirierend.

Solche Erkenntnisse sind meist der erste Schritt, die Führungsstile tatsächlich effektiv einzusetzen. Wer vier und mehr beherrscht, wird feststellen, dass die Leistungsmotivation des gesamten Teams einen großen Sprung macht.

 

*Name von der Redaktion geändert

Buchtipp:
Lead now! Wirksam führen im 21. Jahrhundert
Cornelia Tanzer, Jens Vogt und Jörg Mildner
ISBN: 978-3756841530