Chamäleon Paul Weißhaar

Individuelle Führungsarbeit zählt zu den geilsten Jobs, die es gibt

von Paul Weißhaar

Paul Weißhaar implementiert Veränderungen in Unternehmen und blickt dabei stets hinter die Kulissen. Sein Fokus: Mitarbeitende von Beginn an in Transformationsprozesse einzubinden und Führungskräfte darin zu schulen, angepasst zu führen.

Warum sollen Führungskräfte individuelle und angepasst führen?

Hinter allem, was wir Menschen tun, steckt eine Motivation, also unser Warum. Zu jedem Warum gibt es eine völlig entgegengesetzte Intention. Kein Team ist völlig homogen. Und das wäre auch nicht gut. Denn hinter jeder Motivation steckt auch ein eigenes Skillset. Wenn alle nur dasselbe können und tun, funktioniert ein Unternehmen nicht. Kennen und schätzen wir aber die Intentionen und Eigenheiten unseres Gegenüber, vermeiden wir Konflikte, die mitunter ein ganzes Unternehmen lahmlegen können. Es kommt viel zu oft vor, dass Teams zerfallen, weil die Mitglieder sich nicht verstehen und deshalb verkrachen. Oder Mitarbeitende gehen in eine Blockadehaltung gegenüber ihren Vorgesetzen, wenn die ihre Bedürfnisse einfach überbügeln. Davon profitiert niemand. Alle verlieren.

Deshalb ist es so wichtig, dass Führungskräfte die Motive der Mitarbeitenden kennen und dementsprechend mit ihnen kommunizieren. Das gehört unbedingt zum Job von Chef:innen. Gibt es Bedenken im Rahmen von Changeprozessen, hat niemand etwas davon, sie mit einem Machtwort zu übergehen. Das schafft Distanz in Situationen, in denen ein Team funktionieren muss. Individuell auf Bedenkenträger einzugehen, sie einzubeziehen, schafft Verbündete statt Gegner.

Diese auf den Menschen eingehenden Art der Führung nennen Sie die Chamäleon-Methode. Was verbirgt sich dahinter?

Bei der Entwicklung dieser Methode habe ich mich im ersten Schritt bei der Methodik von Dr. Werner Correll bedient. Der hat herausgefunden, dass wir Menschen in fünf Motivationstypen einteilen können. Um diese Typen anschaulicher zu gestalten, habe ich fünf Zoo-Tiere daraus gemacht. Da gibt es zum Beispiel den Löwen – er stellt gern seine Mähne zur Schau und wedelt dabei stets mit dem neuen iPhone. Die Elefantin hingegen möchte viel lieber gar nicht erst auffallen. Ich habe außerdem noch das sehr gesellige Zebra, den erbsenzählenden Kranich und die fast perfekte Jaguardame im Angebot.

Ohne jetzt alle Tiere im Detail zu beschreiben, ist Ihnen sicher klar, dass diese Kategorisierung nur als erste Orientierung dienen kann. Wenn wir sie sehr genau nehmen, stecken wir die dazugehörigen Menschen in Schubladen. Die Chamäleon-Methode geht tiefer. Sie nutzt on top noch die Motiv-Struktur-Analyse nach Huber, um Menschen in ihren Facetten kennenzulernen. Die basiert auf dem bekannten Reiss-Profile, bezieht aber zusätzlich noch unsere Emotionen mit ein.

Wie der Name Motiv-Struktur-Analyse (MSA) bereits sagt, geht es darum, die Struktur der Motive von Teammitgliedern über einen Selbsttest zu erkennen. Huber hat 18 Motivationsmotive identifiziert, die sich in ihrer Ausprägung zwischen zwei Polen bewegen. Das können Sie sich wie einen Schieber vorstellen, der sich zum Beispiel zwischen »pragmatisch« und »intellektuell« einpendelt. Keiner ist zu 100 Prozent das eine oder das andere. Aber eine Tendenz, eine Ausprägung in eine Richtung lässt sich erkennen.

Als Consultant bewegen Sie sich hauptsächlich in einem agilen Arbeitsumfeld. Wie wichtig ist diese persönliche und individuelle Art der Führung, die sie propagieren, im Kontext „Agil“?

Wichtiger denn je. Die Zusammenarbeit und Arbeitsweise ändern sich in einer agilen Umgebung grundlegend: Selbstorganisierte Teams ersetzen die funktionalen Silos einer traditionellen Organisation. Und das ist nur ein Part, der sich verändert. In der Praxis sieht das dann oft so aus: Da kommt einer „von oben“ im Unternehmen an und sagt: „Wir arbeiten jetzt agil. Herzlichen Glückwunsch! Von jetzt an sind Sie ein agiles, selbstorganisiertes und empowertes Team.“

Dass da nicht jeder sofort hurra schreit, wundert nicht. Der eine sagt: „Klasse, jetzt sind wir selbstorganisiert, das wird aber auch Zeit. Ich nehme die Führung selbst in die Hand.“ Die nächste gibt zu bedenken: „Schön und gut, aber wie lauten die Prozesse und an wen eskaliere ich, wenn etwas nicht läuft?“ Der Dritte blockt ab: „Mehr Verantwortung, das will ich auf keinen Fall.“ Die Vierte freut sich über neue Teammitglieder. Jeder reagiert individuell auf diese Veränderung. Und alle Individuen müssen Sie mitnehmen, damit die Umstellung funktioniert. Deshalb ist es so wichtig, dass die Führung, die eine Veränderung herbeiführt, sich individuell auf die Team Member einlässt. Sonst lassen sich Projektziele nicht erreichen und Lösungen nicht aus dem Team selbst entwickelt.

Viele empfinden die agile Organisation oder das agile Projektmanagement und die Veränderungen, die damit einhergehen, als anstrengend oder sind damit überfordert. Frameworks werden meist schnell umgesetzt, Prozesse definiert und Strukturen geschaffen. Aber die Menschen, die das alles umsetzen sollen, die werden auf dem Weg vergessen. Damit das nicht passiert, braucht es individuelle Führung und meist jemanden von außen, der die Menschen im Unternehmen durch diesen Prozess begleitet.

Buchtipp:
Der Führungshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Paul Weißhaar u.a.
Mehr als 200 Jahre Führungswissen in einem Buch
ISBN 978-3-98640-019-4