Rechnet sich Menschlichkeit? 4 Fragen an Barbara Kopp
Frau Kopp, Sie plädieren für mehr Menschlichkeit im Business. Was genau bedeutet das für Sie?
Menschlichkeit bedeutet für mich, im unternehmerischen Kontext das Beste aus den Menschen herauszuholen. Die Stärken der Einzelnen zu fordern und zu fördern. So, dass sich niemand verbiegen muss, sondern er oder sie selbst sein kann. Das heißt allerdings nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Konflikte sind möglich und werden als Chance zur Weiterentwicklung erkannt. Denn nur dann können wir lernen.
Ist das in Unternehmen noch nicht selbstverständlich?
Unsere Wirtschaftswelt war in den letzten Jahrzehnten sehr stark geprägt von Attributen wie Ehrgeiz, Macht, Verstand, Logik, Zielorientierung. Diese „harten“ Werte sind definitiv wichtig und wertvoll und sie haben uns in diesen Wohlstand gebracht. Jetzt ist es jedoch Zeit für einen Wandel. Wir brauchen einen Ausgleich, also mehr „weiche“ Werte.
Ich komme ursprünglich selbst aus dem Bereich der harten Fakten, war als Ingenieurin in einem Automobilkonzern für Fahrzeugcrashs zuständig. Definitiv ein spannender Bereich. Im Lean-Management habe ich jedoch schnell gemerkt, dass wir nur dann wirklich etwas verändern und Prozesse optimieren können, wenn wir mit den Menschen arbeiten.
Zu den immer wichtigeren Werten gehören deshalb für mich Intuition, soziale Kompetenz, Sicherheit und Emotionen. Diese Entwicklung nicht nur zu erlauben und zuzulassen, sondern auch noch zu fördern, ist für mich ein wesentlicher Aspekt von guter Kulturentwicklung. Und es gibt bereits Unternehmenslenker, die sich auf diesen Weg gemacht haben, die Menschlichkeit zur Chefsache gemacht haben.
Das hat bei einer Firma wie dem Massivbauunternehmen Hauser zum Beispiel zur Folge, dass die einzelnen Teammitglieder sich sicher sind, dass sie als Team so gut aufgestellt sind, dass sie jede Krise überwinden und durch sie sogar noch besser werden – selbst wenn die Baubranche komplett zusammenbrechen und sie kein einziges Haus mehr verkaufen sollten.
Als Mathematikerin sagen Sie, dass sich Menschlichkeit In Unternehmen rechnet. Ist das wörtlich zu nehmen, können Sie die Aussage also durch Berechnungen belegen?
Natürlich lege ich als Mathematikerin Wert darauf, dass meine Thesen belegbar sind. Eine Studie von Heidrick & Struggles aus den USA hat gezeigt, dass die Kultur eines Unternehmens und sein wirtschaftlicher Erfolg sehr wohl zusammenhängen. Dazu haben sie 500 Vorstandsvorsitzende aus Konzernen mit mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar Umsatz befragt. Das konkrete Ergebnis war, dass das Wachstum von Unternehmen, mit kulturbewussten Chefinnen und Chefs mehr als doppelt so hoch ist als das der anderen. Das Verhältnis war 9,1 Prozent zu 4,4 Prozent. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter mit folgender These: Nur die Unternehmen, deren Entscheider in die persönliche Entwicklung von Führungskräften und Schlüsselpersonen investieren, werden langfristig in diesen wechselhaften und unberechenbaren Zeiten bestehen können.
Das Zukunftsinstitut gibt in seinem Report „Wirtschaft nach Corona“ eine ähnliche Prognose ab: Nach der Krise strebt ein Teil der Kräfte zurück in das „alte Normal“, zurück in die alt-bekannte Komfortzone. Allerdings gibt es sie nicht mehr oder ist zumindest lange nicht mehr so kuschelig. Wir benötigen daher eine Gegenkraft, die in eine neue Welt aufbrechen möchte. Eine Kraft, die bereit ist, die Unsicherheit auszuhalten. Das sind Menschen, die Lust haben, neue Wege auszuprobieren und auch mutig genug sind, Fehler zu erlauben. Wenn Firmen solche Menschen an Schlüsselpositionen im Unternehmen platzieren und diese Menschen fördern, dann gewinnen sie dadurch eine wahnsinnige Dynamik, der sich natürlich auch in den Unternehmenszahlen niederschlägt, aber eigentlich unbezahlbar ist für deren Zukunftsfähigkeit.
Was können Unternehmen und Führungskräfte konkret tun, um erste Schritte zu mehr Menschlichkeit im Business zu gehen?
Ein Kulturwandel findet definitiv nicht von heute auf morgen statt und ist nie fertig. Wir und damit auch unser Umfeld sind immer im Wandel. Das und die gegenseitigen Wechselwirkungen können wir gar nicht verhindern. Die Frage ist jedoch, ob wir ihn bewusst steuern oder ihn einfach geschehen lassen. Ob ich die Kultur besprechbar mache und ins Bewusstsein rücke oder unter den Teppich kehre. Als guten Start für einen aktiveren Umgang mit der eigenen Unternehmenskultur hätte ich aktuell folgenden Vorschlag:
Da die Weihnachtsfeier mit Plätzchen und Glühwein in den meisten Fällen sowieso abgesagt wurde, starten Sie doch lieber das neue Jahr mit einem neuen Format – zum Beispiel mit einem Zukunftsworkshop fürs ganze Unternehmen oder für einzelne Teams. In diesen Zukunftsworkshops sollte es unter der Beteiligung aller darum gehen, wie sich das Team aufstellen kann, um positiv in die Zukunft zu blicken. Mit Fragestellungen „Wie wollen wir ins neue Jahr gehen?“ und „Was wollen wir zurücklassen?“. Das funktioniert wunderbar auch online und kann je nach Unternehmensgröße mit einem Miro-Board oder anderen digitalen Hilfsmitteln zu einem virtuellen Festival ausgebaut werden, durch das alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit positiven Emotionen in das neue Jahr aufbrechen.