Interview mit Natalie Brüne: „Die Freude am Aufbau sollte wichtiger sein als schneller Erfolg“
Natalie Brüne hat mehrere Start-ups gegründet und unterstützt andere Gründerinnen und Unternehmerinnen bei der Skalierung ihrer Unternehmungen.
Bisher gibt es vor allem kritische Stimmen, dass es zu wenige weibliche Gründerinnen gibt und männlich geführte Start-ups nach einer schwedischen Studie dreieinhalbmal so viel Geld einnehmen. Du betonst dagegen, dass es sich für Gründerinnen lohnt, ihre Weiblichkeit einzusetzen. Inwiefern kann sie von Vorteil sein?
Viele Frauen sehen in ihrer Weiblichkeit tatsächlich eine Schwäche beziehungsweise einen Nachteil, der sie zurückhält. Ein klassisches, der Weiblichkeit zugeschriebenes Attribut ist die Emotionalität. In der Businesswelt war sie lange verpönt. Ein erfolgreiches Unternehmen zu führen ist tatsächlich verbunden mit Umsetzung, Disziplin, Durchhaltevermögen, Struktur und Planung – alles Attribute, die eher eine männliche Zuordnung bekommen. Aber potentielle Kund:innen wollen auch „gefühlt werden“ und etwas fühlen, wenn sie eine Kaufentscheidung treffen. Vertrauensaufbau ist dafür essenziell. Weibliche Empathie und Herzlichkeit sind dabei von großem Vorteil. Ich möchte aber betonen, dass alle Menschen weibliche und männliche Attribute in sich tragen. Das heißt also, dass auch Unternehmer Weiblichkeit in ihr Business einfließen lassen können oder sogar sollten.
Wer das aber, gerade als Frau, zulässt und sich sogar zunutze macht, statt es zu unterdrücken in einer häufig noch immer männlich dominierten Welt, ist meiner Erfahrung nach kreativer, hat ein größeres Vertrauen in die eigene Geschäftsidee und die eigene Intuition und mehr Spaß am Prozess selbst. Im privaten Kontext bestärkt uns das außerdem Selbstliebe und -fürsorge zu praktizieren, auf unsere Bedürfnisse zu achten und sie auch zu kommunizieren. Das führt zu besseren Beziehungen und Partnerschaften, die sonst gerade bei Frauen drohen, ihnen viel Energie fürs Business zu nehmen.
Wie überzeugen sie damit auch männliche Kunden und die noch immer überwiegend männlichen Investoren?
Ich denke, dass der Fokus darauf, überzeugen zu müssen, der falsche ist. Es geht vielmehr darum, die eigene Freude am Produkt oder Geschäftsmodell erfahrbar oder spürbar zu machen. Wir alle treffen Entscheidungen zunächst emotional – auch männliche Investoren. Erst danach setzt die Ratio ein und wir suchen nach Gründen für unsere Entscheidung und überprüfen, ob diese wirklich berechtigt ist. Wenn der erste Eindruck einer Unternehmerin noch durch einen durchdachten Plan, eine Struktur, Erfolgsdenken, Disziplin etc. untermauert wird, steht einer positiven Entscheidung von Investoren nichts mehr im Wege. Meine Gedanken basieren im Übrigen auf Statistiken, die besagen, dass die Gründerpersönlichkeit oder das Gründerteam bei Investitionsentscheidungen die größte Rolle spielen.
Was ist die größte Hürde, vor allem für weibliche Unternehmerinnen?
Da gibt es sicher mehrere. Aus meiner Arbeit mit über 500 Unternehmerinnen würde ich aber eine besonders hervorheben: Frauen trauen sich oftmals unternehmerisch weniger zu als die männlichen Kollegen. Wenn sie schon ein Projekt starten, lassen sie es beim ersten Gegenwind häufig wieder los, statt es vielleicht auf anderen Wegen zu probieren. Wir Menschen lieben es, die Früchte unserer Arbeit zu ernten, vergessen dabei aber leider so oft, dass auch das Samen säen viel Freude machen kann. Lassen die Früchte dann mal länger auf sich warten, entsteht Frustration. Man, beziehungsweise vor allem Frauen, fangen an, zu vergleichen, statt bei sich zu bleiben. Das Selbstwertgefühl sinkt. Dabei sollten wir auch den Prozess als Bereicherung sehen. Ich nenne das Prinzip „Freude am Aufbau versus sofortige Belohnung“. Wenn sich dann doch beides einstellt, umso besser.
Was war deine größte Herausforderung oder das größte Learning als Selbstständige und wie hast du sie gemeistert?
Meine größte Herausforderung war sicherlich die Entscheidung, meine Dissertation über Entrepreneurship Education für Kinder und Jugendliche nicht zu Ende zu schreiben und stattdessen in die Vollselbstständigkeit zu gehen. Natürlich entgegen den familiären Erwartungen. Ich musste mit sehr viel Gegenwind aus allen Richtungen klarkommen und habe mich teilweise einem Umfeld entzogen, das nicht meinem Wesen entsprach und nicht förderlich für meinen neuen Weg war. Das war sicher mental die größte Herausforderung.
Unternehmerisch habe ich anfangs den Fehler gemacht, meine Ausgaben zu schnell zu erhöhen. Ich habe den Überblick verloren, stand plötzlich finanziell unter Druck, was dazu geführt hat, dass ich nicht mehr kreativ sein konnte und bei jedem Verkaufsgespräch nervös war. Nach und nach habe ich mich mit Durchhaltevermögen und Plan, sowie einer großen Portion Vertrauen aus dieser Situation gebracht. Die Freude am Business kam zurück und die Dankbarkeit dafür, diesen wundervollen Job machen zu dürfen. Und genau dabei unterstütze ich heute auch meine Kund:innen: ihr Business in ein sogenanntes „Mighty Business“ zu verwandeln, das ihnen Freiheit, Energie und Freude bringt, statt Druck und Stress.
Wenn du Gründer:innen und Unternehmer:innen einen Tipp geben könntest, welcher wäre das?
Mein Tipp für alle Gründer:innen und Unternehmer:innen: Egal, wo du gerade stehst und durch welches Tal du gerade gehst, verliere niemals deine Vision aus den Augen. Auch wenn es gerade aussieht als rückten deine Träume in weite Ferne, vertraue weiter auf dich.
Hol‘ dir Menschen an deine Seite, die dich unterstützen und dich aufbauen, wenn sich das Business herausfordernd anfühlt. Nutze „Reminder“ im Alltag, die dich immer wieder an deine Vision erinnern. Genau deshalb habe neben meinem Coachingbusiness noch das Start-up Capskeeper gegründet: Intentionsschmuck, um persönliche Wünsche und Ziele festzuhalten und nah am Herzen zu tragen. Ich nutze meine Capskeeper-Kette als Anker im Alltag: Ich berühre sie oder sehe sie im Spiegel und richte meine Gedanken, Gefühle und Handlungen immer wieder an meiner Vision aus. Aber natürlich kann man sich auch auf anderen Wegen immer wieder selbst erinnern und den eigenen Fokus auf die guten Seiten des Unternehmertuns lenken.