Interview mit Claudia Rougoor über präventive Denkmalpflege
Claudia Rougoor widmet sich der Instandhaltung und Bewahrung historischer Bauwerke. Damit diese oft denkmalgeschützten Spezialimmobilien, z. B. Kirchen, Schlösser, Gutshäuser, bestmöglich erhalten werden können, geht die Bauingenieurin neue Wege und setzt für die schnelle Ersteinschätzung und Bauzustandserhebung Drohnen ein.
Frau Rougoor, Ihre Mission ist die präventive Denkmalpflege. Was genau hat es damit auf sich?
Präventive Denkmalpflege bedeutet vorausschauendes, ganzheitliches Agieren bezüglich des Unterhalts und der Instandsetzung denkmalgeschützter und historischer Gebäude. Das heißt, die Bauwerke regelmäßig nach einem festgelegten Ablaufschemata in Augenschein nehmen, kleinste Veränderungen in der Bausubstanz wahrnehmen und dokumentieren sowie kontinuierlich sich abzeichnende Schäden bereits in ihrem Anfangsstadium beheben. Das hat den Vorteil, dass so mittel- und langfristig der Zeit- und Kostenaufwand im Unterhalt dieser Gebäude erheblich reduziert werden kann. Denn wird erst im Fall eines akuten Schadens reagiert, ist dieser zu diesem Zeitpunkt meist schon recht weit fortgeschritten, die Instandsetzung wird aufwendiger und kostspieliger. Angesichts zunehmender Budget- und Ressourcenknappheit, die durch die Pandemie noch verschärft wurde, ist präventive Denkmalpflege meiner Meinung nach unerlässlich.
Aus welchem Antrieb heraus haben Sie sich auf den Erhalt historischer Bauten spezialisiert?
Ich habe eine Leidenschaft für historische Bauwerke. Für mich strahlen Denkmalbauten – insbesondere Kirchen – häufig eine ganz besondere Ruhe und Ästhetik aus, die für mich mit Ehrfurcht und Bewunderung der Expertise der damaligen Baumeister einhergehen.
Dazu gesellt sich ein starkes Bewusstsein, dass wir als Gesellschaft eine Verantwortung für unseren reichen Bestand an – oft sanierungsbedürftigen – Baudenkmälern haben. Alleine die katholische Kirche verfügt in Deutschland über mehr als 60.000 denkmalgeschützte Gebäude und Liegenschaften, bei der evangelischen stehen circa 80 Prozent der rund 20.300 Gebäude unter Denkmalschutz. Hinzu kommt eine bisher nicht erfasste Anzahl an Schlössern, Gutshäusern und anderen Denkmälern. Indem ich dazu beitrage, historische Bauwerke systematisch vor dem Verfall zu bewahren, kann ich auch einen gesellschaftlichen Beitrag für den Erhalt unseres kulturellen und historischen Erbes leisten.
Für die Inspektion der Bauwerke setzen Sie Drohnen ein. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Ich wurde bereits vor einigen Jahren im privaten Umfeld auf Drohnen aufmerksam, war fasziniert. Sie erinnern mich an meine Kindheit, ich besaß damals selbst ein über Kabel ferngesteuertes Auto, später eine Carrerabahn etc. Folglich kamen Drohnen auch während der Evaluierungsphase meiner Gründung als selbstständige Unternehmerin „auf den Tisch“, und es stelle sich heraus, dass sie viel Nutzen und Mehrwert liefern: Drohnen für die visuelle Inspektion von Bauwerken einzusetzen, ist sehr effizient und effektiv. Die Vorbereitungszeit für einen Einsatz ist kurz, der Zeitaufwand vor Ort im Vergleich zur konventionellen Herangehensweise mit Gerüst, Hubsteiger oder Industriekletterer gering. Zudem können Personal- und Materialkosten eingespart werden, und auch die Arbeitssicherheit beziehungsweise das geringere Unfallrisiko sprechen für den Einsatz von Drohnen. Die Aufnahmen sind qualitativ sehr hochwertig und können in nachgelagerter Software zum Beispiel zu 3D-Modellen weiterverarbeitet werden, die dann etwa für detaillierte Analysen der Oberfläche der Bausubstanz, für Vermessungen oder Sanierungsplanung zur Verfügung stehen.
Um eine Vorstellung zu bekommen, – können Sie Ihre Arbeit mit den Drohnen kurz skizzieren?
Setze ich Drohnen zur Begutachtung von Gebäuden ein, muss ich das zunächst behördlich genehmigen lassen. Der Flugtag selbst hängt vom Wetter ab; eine spannende Komponente, denn final bestimmt die Natur über die moderne Technologie. Die Befliegungen selbst plane ich im Vorfeld sehr genau. Erste Ergebnisse betrachte ich dann nach Möglichkeit direkt mit dem Kunden am Monitor, so lassen sich noch weitere Schwerpunkte vor Ort setzen. Die meiste Zeit nimmt allerdings die digitale Weiterverarbeitung und Analyse der Daten ein. Auch hier findet ein enger Austausch mit allen Beteiligten auf Bauwerksseite statt. Es ist wichtig, die moderne Technologie mit der Expertise von Architekten, Bauingenieuren und vor allem Handwerkern wie Steinmetzen, Restauratoren, Zimmerleuten et cetera zu kombinieren. Je nach Zielsetzung und Befliegungsergebnis folgen noch weitere Untersuchungen am Bauwerk durch andere Gewerke.
Worin sehen Sie die stärkste Herausforderung bei der Erhaltung alter Bauwerke?
Die stärkste Herausforderung liegt für mich in der Individualität der einzelnen Bauwerke. Keines gleicht dem anderen, jedes ist ein Unikat, vor allem auch in seiner Bausubstanz und oft in den damals verbauten Materialien. So schön ich das aus ästhetischer Sicht empfinde, für Kosteneinsparpotenziale und die Optimierung von Prozessen ist das eine immense Herausforderung. Oft sind bereits irreparable Schäden an der Bausubtanz aufgetreten. Nicht, weil zur Bauzeit ungeeignete Materialien verwendet wurden, sondern weil sich die Randbedingungen für die Bauwerke verändert haben. Umwelteinflüsse, fehlerhafte frühere Instandsetzungen mangels Expertise oder identischem Material, all das erschwert die Replizierbarkeit.
Problematisch ist auch, dass den Betreuerinnen und Betreuern der Bauten und somit auch uns als Gesellschaft die Zeit davonläuft. Die Individualität jedes einzelnen Bauwerks, die akribischer Vorbereitung und Durchführung bedarf, lässt sich nicht ändern oder beeinflussen. Wir müssen allerdings schnellstmöglich ein neues Konzept des Zusammenwirkens von Experten mit Unterstützung moderner Technologien etablieren.
Sie arbeiten als Frau in einer Branche, die sehr von Männern dominiert ist. Was sind dabei die Vor- und Nachteile?
Zunächst war ich über diese Frage überrascht, da ich es gar nicht anders kenne, mein Umfeld bereits seit der Oberstufe männlich dominiert ist. Sowohl im Studium als auch im Beruf war der Männeranteil signifikant höher als der Frauenanteil, so dass ich diesen Umstand schon lange als Normalzustand wahrnehme. Ich muss aber auch sagen, dass ich selbst ein Alphatier bin und die direkte Art der Männer bevorzuge.
Nach vielen Jahren Konzernerfahrung im petrochemischen Anlagenbau und jetzt auf dem Bau spreche ich selbst die Sprache der Männer und kann wie sie agieren, falls erforderlich. Das hilft ungemein in der konstruktiven Zusammenarbeit.
Aus meiner persönlichen Sicht gibt es für mich als Frau in dieser männerdominierten Branche einen großen Vorteil: Ich bleibe besser im Gedächtnis meiner Gesprächspartner. Nachteilig für mich als Frau ist sicherlich, häufig auf eine „eingeschworene“ Gemeinschaft zu treffen. Da muss mein Fuß erst einmal in die Tür rein. Mein Eindruck ist, dass ich immer einen Tick besser sein muss, meine Kompetenz wird manchmal zunächst in Frage gestellt. Dem begegne ich mit Expertise, Beharrlichkeit und Selbstbewusstsein, und dann passt es wiederum in „die männliche Denkweise“.