Build trust

Kontrolle ist eine Illusion

von Sandra Echemendia

Serial Entrepreneur Sandra Echemendia weiß um die Bedeutung von gemeinsamen Werten für den Erfolg von Unternehmen. Nach Konzern-Stationen wie beispielsweise der Autostadt in Wolfsburg arbeitet sie inzwischen als Business Consultant und leitet die internationale Soul2Soul Business Community von ihrer Wahlheimat Bali aus.

Frau Echemendia, welche Fähigkeiten brauchen Führungskräfte, die internationale und interkulturelle Teams führen?

In den letzten zwanzig Jahren habe ich gelernt, welche Bedeutung besonders die Fähigkeit zur Selbstreflexion hat. Dazu gehört übrigens auch das Wissen, wann ich den Spiegel von anderen brauche. In den meisten Fällen werden Ihre Mitarbeitenden Sie nicht von sich aus spiegeln – gerade wenn auch noch kulturelle Unterschiede hinzukommen. Hier in Indonesien reden die Menschen gern um den heißen Brei herum und kommen nicht so richtig zum Punkt. Im Privaten mag das funktionieren, da kann man auch einfach mal Loslassen. Im Business gilt es jedoch zu jonglieren und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Aber auch in Teams aus demselben Kulturkreis gibt es an dieser Stelle Probleme. Denn sobald ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, bekommen wir selten eine unverfälschte Meinung – unabhängig von der Position.

Deshalb braucht eine Führungskraft eine so ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstreflexion. Falls ich das heute noch nicht kann, muss ich das lernen oder trainieren. Unabhängig davon halte ich Empathie für eine sehr wichtige Persönlichkeitseigenschaft. Sie muss nicht übermäßig ausgeprägt sein, aber jede:r braucht die Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Führung hat sehr viel mit Empfindungen zu tun.

Inwiefern hat Führung mit Empfindungen zu tun?

Es geht darum, ein Gespür für andere Menschen, für Dynamiken, Stimmungen und Teams zu entwickeln. Denn der Führungsalltag besteht nicht selten aus Zuhören und Sprechen. Dafür braucht es notwendigerweise auch das aufrichtige Interesse an den Menschen. Wer nicht gerne mit anderen zusammenarbeitet und sich nicht in sie hineinversetzen kann, sollte auf keinen Fall eine Führungsposition anstreben. Ich möchte an dieser Stelle den Unterschied zwischen einer Fachkraft und einer Führungskraft betonen. Früher führte der Weg auf der Karriereleiter ausschließlich über die Führungsschiene. Inzwischen haben viele erkannt, dass nicht jede:r für die Führungsrolle geboren ist. Und Fachkompetenz bedeutet nicht gleichzeitig Führungskompetenz. Ich habe in meinen Consultings viele Führungskräfte kennengelernt, die lieber ihren Job weiterhin fachlich gut machen würden. Sie hatten aber oft keine Wahl. Zum Glück hat dieses Modell langsam ausgedient und die Erkenntnis, dass Spezialisten genauso wertvoll sind wie Führungskräfte, setzt sich immer weiter durch.

Führungskräfte sollten sich auf Menschen konzentrieren, um die Ziele des Unternehmens mit denen des Teams in Einklang zu bringen. Das bedeutet, die Richtung vorzugeben, eine Meinung zu haben. Führungskräfte sollten Stabilität und Beständigkeit ausstrahlen, ebenso wie Standhaftigkeit und Ehrlichkeit. Sie brauchen Rückgrat und Selbstreflexion, um offen zuzugeben, wenn die Dinge einmal nicht gut laufen.

Sie müssen aber selbst keine Fachkräfte sein, dafür haben sie Spezialisten, die ihnen zur Seite stehen. Beides ist wichtig, gleichwertig und ermöglicht die berufliche Weiterentwicklung. Das soll übrigens nicht heißen, dass eine Führungskraft ihr Fachgebiet nicht kennen muss. Ich persönlich bin ein Anhänger des Prinzips „Leading by example“. Ich habe die Aufgaben, die meine Mitarbeiter:innen übernehmen sollen, immer zuerst selbst erledigt. Das klappt aber nicht immer. Wenn ich zum Beispiel als Projektleiterin ein Team von zehn Spezialisten führe, die alle auf unterschiedliche Bereiche spezialisiert sind, dann kann ich nicht alle Aufgaben übernehmen, und das ist auch gut so. Sie dürfen in ihrem jeweiligen Spezialgebiet besser sein als ich. Es ist nicht meine Aufgabe, ihre Arbeit zu machen, sondern ihre Arbeit zu leiten und sie dabei zu unterstützen, ihre Arbeit so gut wie möglich zu machen.

Wenn ich mich als Führungskraft aber nicht überall auskenne, bedeutet das nicht gleichzeitig einen Kontrollverlust?

Ich halte Kontrolle für eine Illusion. Kontrolle suggeriert nur eine scheinbare Sicherheit, die es in der heutigen Zeit einfach nicht gibt. Wer das nicht erkennt, hat wahrscheinlich schon andere grundlegende Probleme. Oft sind es die Menschen, die sich wundern, dass nichts mehr so funktioniert wie früher, obwohl alles immer noch genauso gemacht wird. Die Realität ist, dass es Kontrolle nicht gibt. Am besten ersetzen wir sie durch Vertrauen. Das heißt aber nicht, dass ich Dinge nicht nachhalten muss. Wenn ich Rahmenbedingungen klar kommuniziere, kann ich meinen Mitarbeitenden vertrauen. Vor allem, wenn ich sie gut einarbeite, ihnen das nötige Wissen vermittle und klar sage, was ich erwarte. Auf diese Weise kann ich darauf vertrauen, dass sie ihren Aufgabenbereich angemessen erfüllen. Dann kann ich mich an den Ergebnissen messen lassen. In Bereichen wie der Produktion gibt es sicherlich andere Anforderungen, die auch einmal eine Vier-Augen-Kontrolle erfordern. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich dem Mitarbeiter misstraue oder dass er seine Arbeit nicht richtig macht, sondern das sind Vorschriften. Im medizinischen Bereich, um ein anderes Beispiel zu nennen, sind andere Kontrollen relevant.

Wenn es um Menschen geht, muss ich als Führungskraft loslassen können. Ich kann nicht ständig hinter meinen Mitarbeitenden her sein und sie überprüfen, aus Angst, dass sie ihre Arbeit nicht richtig machen oder aus generellem Misstrauen. Bei mir bekommen alle von Anfang an ein gewisses Grundvertrauen. Das ist mir wichtig und das erwarte ich auch, wenn mich jemand kennenlernt. Trotzdem delegiere ich Aufgaben und fasse nach – zum Wohle der Mitarbeitenden, aber auch für das Unternehmen. Als Führungskraft muss ich sicherstellen, dass Aufgaben erledigt werden und andere darauf bauen können.

Und damit sind wir wieder beim Menschenbild. Wenn ich Menschen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehe und ihnen nicht traue, dann muss ich mich wirklich fragen, ob ich der oder die Richtige für eine Führungsposition bin. Das meine ich nicht böse oder vorwurfsvoll. Aber Führung kann auf Vertrauen nicht verzichten.

Buchtipp:
Der Führungshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Sandra Echemendia u.a.
Mehr als 200 Jahre Führungswissen in einem Buch
ISBN 978-3-98640-019-4