zeit für pausen für führungskräfte

Leitwölf:innen brauchen Authentizität und ein Gespür für emotionale und soziale Kompetenzen

von Birgit Kersten-Regenstein

Birgit Kersten-Regenstein unterstützt Führungskräfte von Unternehmen wie „Miele“ oder „Dr. Oetker“ dabei, ihre Resilienz, innere Unabhängigkeit und Integrität zu stärken. Im Interview erklärt sie, warum Integrität und Empathie inzwischen zu den erfolgversprechenden Führungsqualitäten zählen.

Was bedeutet es, eine empathische und integre Führungskraft zu sein?

Heute gibt es so viele Ansätze, wie eine Führungskraft zu sein hat, wie noch nie. Mit welchem Ansatz wir auch gehen, die authentische Persönlichkeit ist es, die den Unterschied macht. Das heißt, einerseits brauchen echte Leader:innen die Fähigkeiten, sich in andere hineinversetzen zu können und diese Personen wirklich zu respektieren. Andererseits gehört dazu, dass dieser Umgang nicht nur für andere, sondern auch für die Führungskraft selbst gilt. Denn echte Empathie bedeutet auch, ein gutes Gespür und Gefühl für sich selbst zu haben. Und das ist ein mindestens genauso wesentlicher Aspekt für Führung wie das Einfühlungsvermögen in andere. Wer sich selbst führt, kann auch andere lenken. Das beinhaltet natürlich, die eigenen Werte zu kennen und zu leben. Aber auch zu wissen, wenn meine Seele oder meine körperliche Gesundheit leidet, spielt eine Rolle.

Ist das bisher bei Führungskräften noch nicht angekommen?

Leider nein. Verstärkt ab der Ebene des mittleren Managements ist immer wieder zu beobachten, dass Führungskräfte wenig auf sich und ihr Körpergefühl achten. Empathische Selbstführung heißt, die eigene Gesundheit, Zeit- und Kraftkapazitäten ernst zu nehmen. Pausen zu machen, wenn wir sie brauchen und hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Auch ein:e Chef:in benötigt ein Offline-Wochenende oder einen Urlaub ohne ständige Erreichbarkeit. Das ist ein Teil der Verantwortung, die dazugehört, wenn wir eine Führungsrolle innehaben, weil wir in dieser Rolle eine Vorbildfunktion haben, insbesondere für die Generationen Y und Z. Die schauen genau – ich verallgemeinere an dieser Stelle –, ob das glaubhaft ist, was ich als Führungskraft sage. Wenn ich da empathisch nur für andere bin, aber Raubbau an mir selbst betreibe, werde ich schnell als nicht tragfähig und wenig vertrauenswürdig erlebt.

Was hat es in diesem Rahmen mit Integrität auf sich?

Betrachten wir das Ganze einmal aus der Perspektive von Mitarbeitenden: Ich finde es erschreckend, dass in vielen Unternehmen zwar eine definierte Kultur besteht, diese aber nicht gelebt wird. Häufig passiert es, dass zum Beispiel eine höher gestellte Person eine Führungskraft oder einen Teamleiter im Meeting abkanzelt – vor allen anderen. Und was geschieht? Niemand greift ein, obwohl im Leitbild von Wertschätzung und Respekt die Rede ist. Das ist weder menschlich noch klug. Die Glaubwürdigkeit der Führungsetage leidet darunter immens. Die öffentliche Herabwürdigung hat einen direkten negativen Effekt auf sie. Die Zuhörenden indes können so eine Situation selten auflösen und stehen somit ebenfalls fragwürdig da. Dann sind Werte wie Menschlichkeit, eine offene Fehlerkultur und die Einladung zur Mitbestimmung nicht das Papier wert, auf das sie gedruckt wurden. Die gelebte Firmenkultur zeigt in diesem Fall offensichtlich das Gegenteil. Wer so vorgeht, erwartet dann häufig von externen Coaches, die Menschen wieder aufzubauen. Kurzfristig kann das klappen, aber langfristig kostet das nicht nur das Geld für die Coaches, sondern auch das Vertrauen der Mitarbeitenden und die mentale und auch körperliche Gesundheit der Menschen in Unternehmen. Ich weigere mich inzwischen, hier Teil des Systems zu sein.

Integrität bedeutet, zu den definierten Werten zu stehen. Sie wird mit Anständigkeit, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit und Verlässlichkeit in Verbindung gebracht. In der Konsequenz heißt das: Wer integer ist, ist unbestechlich, lässt sich von niemandem korrumpieren. Diese Führungsqualität bedarf allerdings dringend noch mehr Aufmerksamkeit und Fokussierung. Integrität gehört zur Persönlichkeit, damit zur Authentizität eines Menschen und infolgedessen zu dessen Glaubwürdigkeit. Um erfolgreich zu führen ist Fachkompetenz eine Voraussetzung, aber erst eine integre Persönlichkeit schafft echte Führung, die alle im Unternehmen mitnimmt und sich nicht negativ auf Mitarbeitende auswirkt.

Buchtipp:
Der Führungshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Birgit Kersten-Regenstein u.a.
Mehr als 200 Jahre Führungswissen in einem Buch
ISBN 978-3-98640-019-4