Frust der Middle Manager

Middle Manager spielen eine Schlüsselrolle bei der Transformation strategischer Visionen in konkrete Ergebnisse

von Ursula Vranken

Seit mehr als 20 Jahren berät Ursula Vranken Unternehmer, Vorstände und Führungskräfte aus den unterschiedlichsten Branchen dabei, zukunftsfähige Organisationen zu gestalten. Im Interview verrät sie, was Führungskräfte aktuell frustriert und warum gerade Middle Manager eine Schlüsselrolle bei der Transformation strategischer Visionen in konkrete Ergebnisse spielen und warum sie dafür Anerkennung verdienen und Befähigung brauchen.

Frau Vranken, Sie haben kürzlich einen Artikel veröffentlicht über den „Frust der Führungskräfte“. Warum sind Führungskräfte aktuell frustriert?

Die Gründe für den Frust sind vielschichtig. Wir erleben eine Arbeitswelt, die sich durch eine beispiellose Dynamik und Komplexität auszeichnet. Neue Arbeitsmodelle revolutionieren nicht erst seit Corona traditionelle Strukturen. Die gesamte deutsche Wirtschaft sieht sich mit einem großen Fachkräftemangel konfrontiert, dazu kommen neue Technologien, Krisen und Kriege – und in all diesen Unsicherheiten müssen Führungskräfte sicher navigieren. Außerdem drängen Generationen auf den Arbeitsmarkt und in Führungspositionen, die mit ganz anderen Vorstellungen von Arbeit und Führung aufgewachsen sind als die sogenannten Babyboomer, an deren Karrierebeginn von Vier-Tage-Woche oder Remote Work noch keine Rede war.

Besonders betroffen sind die Middle Manager, auf die sowohl die Augen und Erwartungen des Topmanagements und der Kundschaft als auch die des eigenen Kollegiums gerichtet sind, wenn es darum geht, Neues umzusetzen. In klassischen Organisationen zählen zum mittleren Management vor allem Abteilungs- oder Teamleitungen. In agilen Organisationen auch die sogenannten Lateral Leader: Projektleitungen, die keine Personal-, aber eine hohe Projektverantwortung haben.

Middle Manager nehmen eine – wenn nicht die – Schlüsselposition bei der Transformation strategischer Visionen in konkrete Ergebnisse ein – als Übersetzer, Bindeglied, Impulsgeberin, Coach und Motivatorin. Dabei stehen sie zwischen den Ansprüchen des Topmanagements und den Forderungen der Mitarbeitenden, müssen die Produktivität im Unternehmen, sowie die Qualität und Kundenzufriedenheit im Blick behalten. Und dann werden sie zuweilen als Lähmschicht betitelt. Wer kann da nicht verstehen, dass bei ihnen Frust aufkommt?

Das klingt tatsächlich nach einer sehr herausfordernden Jobbeschreibung. Welche Kompetenzen brauchen Manager in der Mitte und Lateral Leader?

Sie müssen gleich eine Reihe an Kompetenzen entwickeln, die über das traditionelle Managementverständnis hinausgehen. Wer heute in einer Leadership-Position ist, muss viel stärker als früher auf der menschlichen Seite unterwegs sein und die kommunikativen Aspekte der Führungsrolle berücksichtigen. Das Motto „Command and Control“ funktioniert nicht mehr, wenn es das jemals hat. Wem es nicht gelingt, eine Kultur der offenen Kommunikation und des gegenseitigen Vertrauens zu etablieren, durch die Teammitglieder motiviert auf Projektziele hinarbeiten, wird scheitern.

Wie gelingt Führung in den neuen Arbeitsmodellen und ohne Weisungsbefugnis?

Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was gerade in Mode ist und öffentlich diskutiert wird, und der Realität in den Unternehmen. Manche träumten bereits davon, Führung ganz abzuschaffen. Bisher ist das nicht gelungen. Wird es auch nicht. Vieles, von dem wir heute sprechen, ist außerdem nicht wirklich neu – zumindest in Teilen. Allerdings ändern sich Herangehensweise und Rollenzuschreibungen durchaus. Wir müssen Mitarbeitende insgesamt mehr mit in die Verantwortung einbeziehen, also auf einen Führungsstil setzen, den wir auch „empowernde Führung“ nennen. Alle sitzen im gleichen Boot und fühlen sich, unabhängig von der hierarchischen Position, verantwortlich, denken und handeln mit. Bei der Agilität beispielsweise brauchen wir empowernde Führung, „shared Ownership“, bei dem sich alle verantwortlich fühlen, mitzudenken und auch mitzuentscheiden. Dafür muss das Middle Management über die entsprechenden Kompetenzen und Entscheidungsgewalt verfügen. Wer selbst keine Macht hat, über Ressourcen und Projekte zu verfügen, kann sie nicht delegieren. Bürokratie und Co. stehen der Umsetzung moderner Arbeitsmodelle häufig noch im Weg, wenn Teamleader am Ende doch über vier Hierarchiestufen hinweg fragen müssen, ob sie etwas für das Projekt anschaffen oder Personal einstellen dürfen.

Unternehmen, die das bisher noch nicht getan haben, sind gut beraten, sich jetzt grundlegend neu zu justieren und dabei das mittlere Management als Schlüsselfaktor anzusehen und einzusetzen. Diese Ebene transformiert die strategischen Visionen des Topmanagements in greifbare Aktionen und Ergebnisse und spielt eine entscheidende Rolle bei der Bindung guter Teammitglieder. Es ist an der Zeit, dass die Führungsspitze sich mehr öffnet, um einen Dialog mit dem Mittelmanagement zu fördern und deren Feedback aktiv einzubeziehen. Denn nicht alles, was auf strategischer Ebene geplant wird, lässt sich auf der operativen Ebene umsetzen. Dazu sind passende Strukturen innerhalb der Unternehmen essentiell. Um diese wichtige Arbeit zu leisten, brauchen mittlere Führungskräfte nicht nur Anerkennung, sondern auch Befähigung und Gehör.

Buchtipp:
Der Führungshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Ursula Vranken u.a.
Mehr als 200 Jahre Führungswissen in einem Buch
ISBN 978-3-98640-019-4