Erwartungsmanagement

Schaden entsteht, weil Erwartungen nicht gemanagt werden

von Carlos Frischmuth

Carlos Frischmuth ist Managing Director beim Personaldienstleister Hays und verfügt über 25 Jahre internationale Erfahrung. Er hat 2021 das Buch »New Work Bullshit« verfasst, in dem er Kommunikation als einen der Future Skills entlarvt und die Bedeutung insbesondere im New Work Umfeld unterstreicht.

Du sprichst in deinem Buch vom »FKK-Dreiklang«: Führung, Kommunikation und Kultur. Die hängen eng miteinander zusammen. Greifen wir den Punkt Kommunikation heraus: Wie disruptiv ist das Thema in Zeiten von Megatrends wie Digitalisierung, aber auch Remote Work?

Aktuell beschleunigt sich die Kommunikationsdynamik und die Erwartungshaltung an Inhalte ist enorm, weil wir so viele Informationen auf dem Tisch haben. Wir leiden quasi an einer Informationsüberforderung. Ich glaube, dass Kommunikation schon immer ein Gamechanger war und seit jeher eine Herausforderung der Menschheit ist. Kommunikation transportiert Informationen, aber auch Emotionen. Das sorgt immer wieder für Herausforderungen – sowohl im organisatorischen Umfeld in Unternehmen als auch privat, in der Familie und im Freundeskreis.

Es passieren dabei so viele Fehler, und wir klären dann im gesellschaftlichen Rahmen, was schiefgelaufen ist, weil wir die Bedeutung von Kommunikation unterschätzen. Zum Beispiel fragen wir uns gerade in diesen Zeiten: Warum kommunizieren Politiker so schlecht? Doch das passiert überall. Deshalb müssen wir uns mehr damit auseinandersetzen.

Schauen wir uns die Unternehmen genauer an. Führungskräfte und Vertreter:innen von Organisationen müssen sehr viel einordnen und übersetzen – Veränderungen im Innen und Außen. Sie stehen vor der Mammutaufgabe, in verschiedenen Formaten wie E-Mails, Meetings, Town Halls oder alltäglichen One-to-One-Gesprächen gut zu kommunizieren. Und das erfolgt leider keinesfalls synchron. Einer erfährt beispielsweise früher als ein anderer von Veränderungen. Das birgt Konfliktpotenzial. Wir alle – und nur weil ich es aktiv anspreche, nehme ich mich hier nicht raus – haben Kommunikationsdefizite, weil wir uns zu wenig mit diesem extrem wichtigen Instrument beschäftigen.

Wenn wir jetzt in die Unternehmen reinschauen, ist Kommunikation auch durch Hierarchien gesteuert. Lange galt: Was von oben kommt, wird umgesetzt. Das heißt aber nicht unbedingt, dass es verstanden wurde. Im New Work Umfeld stehen wir vor der Herausforderung, dass Teams sich selbst führen. Dafür braucht es doch klare Regeln?

Ich glaube, dass aufgrund des veränderten Setups – die Mitarbeitenden sind vor allem mündiger geworden – die Ansprüche und Erwartungen an Kommunikation deutlich gestiegen sind. Das ist New Work getrieben, weil eine Aufwertung der Mitarbeitenden als wichtige Ressource in der Organisation stattfindet. Der Mensch wird – gerade in wissensbasierten Organisationen – stärker in den Mittelpunkt gerückt und muss immer mitgenommen werden. Führungskräfte, die damit quasi nicht groß geworden sind, fragen sich oft: »Was ist jetzt wieder das Problem? Ich habe zwar von Agilität gehört, aber Information XY kriegen die Mitarbeitenden nächste Woche. Warum denn jetzt schon wieder diese Unruhe?«

Das könnte dann aber bereits zu spät sein, weil diese Information längst über andere Kanäle zu den Mitarbeitenden gelangt ist und ungesteuert ihre Wirkung entfalten kann, Energie bindet und die Produktivität reduziert. Schlechte, falsche oder zu späte Kommunikation erzeugt also regelrecht Organisationsschäden. Die Notwendigkeit zu mehr Agilität erzeugt schnellere Kommunikationswege, die teilweise an Hierarchien vorbeiführen und damit an den klassischen Informationskaskaden. Viele Führungskräfte hinken hinterher, und das Thema wird bis heute nicht ausreichend geschult, ist regelrecht ein blinder Fleck in der Personalentwicklung.

Du hast einen wichtigen Punkt angesprochen: das Thema Erwartungshaltung. Du schreibst in deinem Buch, Erwartungsmanagement ist immer Enttäuschungsmanagement. Was hat das mit der Kommunikation in Unternehmen zu tun?

Ganz viel Enttäuschung in Gesellschaften, im familiären Umfeld und natürlich in Organisationen entsteht, weil Erwartungen geformt werden – bewusst oder unbewusst.

Schaden entsteht, weil Erwartungen nicht gemanagt werden. Und damit meine ich nicht die Manipulation von Erwartungen, sondern dass man sie zunächst einmal kennt.

Ein Beispiel: Unternehmen führen teure Mitarbeiterbefragungen durch, sammeln Informationen – und dann bleibt es dabei. Die Ergebnisse werden entweder gar nicht oder unzureichend in Kommunikation übersetzt. Führungskräfte, die als Vermittler zur Belegschaft dienen könnten, werden zu wenig eingebunden. Und dann wundert man sich, warum es so viele Befindlichkeiten gibt oder warum die Belegschaft so weit weg vom Management ist.

Ich beobachte immer wieder tiefgreifende Enttäuschung in Organisationen – oft gefolgt von Frustration, die bis zur Verbitterung reicht. Dann entstehen Widerstände: Mitarbeitende verweigern sich, Prozesse stocken und die Leistung bleibt aus. Die viel beschworene Produktivität oder noch weniger die »Extra Meile« kann so nicht entstehen. Für Organisationen ist das ein ernstzunehmendes Risiko, gerade in Zeiten eines international zunehmenden Wettbewerbs.

Haben Unternehmen und ihre Führungskräfte überhaupt ein klares Bild davon, wie ihre eigene Organisation »tickt«?

Ehrlicherweise kennen die Menschen in Organisationen oft ihre eigene Kommunikationskultur nicht wirklich. Hier helfen Milieustudien wie die Heidelberger Studien oder Sinus-Studien, die gesamtgesellschaftliche und regionale Strukturen analysieren. Sie zeigen, dass beispielsweise konservative oder progressive Denkweisen nicht altersbedingt sind – auch junge Menschen können konservativ sein. Solche Erkenntnisse lassen sich auf Organisationen übertragen: Welche Grundhaltung dominiert in meiner Belegschaft? Ist mein Unternehmen eher ängstlich und vorsichtig oder innovationsfreudig und mutig?

Solche Selbstbilder gibt es oft: Porsche gilt als Ingenieursunternehmen, SAP als IT Company. Diese Identität prägt die gesamte Belegschaft, selbst Buchhalter:innen fühlen sich als Teil einer Tech-Firma. Die Frage ist: Wird diese Unternehmensidentität in der internen Kommunikation berücksichtigt oder ignoriert? Verstehen wir quasi die »Unternehmensseele«? Diese Auseinandersetzung findet zu wenig statt.

Noch entscheidender: Unternehmenskommunikator:innen sollten nicht nur Botschaften aus der Führungsebene nach unten durchreichen, sondern auch zurückspiegeln, was in der Belegschaft wirklich passiert. Sie sollten dem Vorstand sagen können: »Ich höre das und das aus der Organisation.« So entsteht ein echter Dialog. Doch diese Funktion wird oft nicht ausreichend genutzt oder ist nicht systemisch institutionalisiert, abgesehen von den bereits angesprochenen meist mechanischen Mitarbeiterbefragungen.

Und das will ich hier erneut betonen: Im Management gibt es oft keine besonders guten Zuhörer:innen. Und wer nicht gut zuhört, kann auch nicht gut kommunizieren. Punkt, Ausrufezeichen. Das führt zu Missverständnissen, Verzerrungen und letztlich zu Frustration. Neu ist das nicht. Doch durch Digitalisierung, Social Media und die stärkere Vernetzung, sind wie bereits angesprochen, die Erwartungen gestiegen. Früher informierten sich Mitarbeitende bei Gesprächen in der Kaffeeküche oder Raucherpause. Heute übernehmen WhatsApp-Gruppen oder Team-Chats diese Funktion – in Echtzeit und ortsunabhängig. Informationen verbreiten sich schneller als je zuvor. Viele Führungskräfte sind darauf nicht gut vorbereitet.

Gerade bei High-Level-Positionen prüfen Recruiter oder Personalberater oft nicht systematisch, ob jemand wirklich ein guter Kommunikator ist. Stattdessen zählt vor allem eine selbstbewusste, durchsetzungsstarke Ausdrucksweise. Doch ob eine Führungskraft auch aktiv zuhören, das Gehörte präzise reflektieren und Missverständnisse vermeiden kann, bleibt meist unbeachtet – dabei sind genau diese Fähigkeiten essenziell.

Wer gut zuhört, trifft fundiertere Entscheidungen, führt empathischer und kommuniziert sowohl dosierter als auch gezielter.

Unternehmen sollten daher nicht nur nach starken Sendern suchen, sondern bewusst hinterfragen, welche kommunikativen Kompetenzen für moderne Führung wirklich in ihrer eigenen Organisation notwendig sind.

Buchtipp:
Der Kommunikationshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Carlos Frischmuth u.a.
ISBN 978-3-98640-030-9