gemeinsam musik hören bei trauer

Trauer stellt die gewohnten Gesetze der Kommunikation auf den Kopf

von Anke Nennstiel

Anke Nennstiel ist seit über 15 Jahren auf die Neuausrichtung und Neuaufstellung von Menschen und Unternehmen an Wendepunkten spezialisiert. Sie ist zertifizierte Trauerbegleiterin, Kommunikationsprofi und unterrichtet unter anderem an der ARD.ZDF medienakademie.

Warum sind wir ausgerechnet in Krisensituationen häufig unsicher und wissen nicht, was wir sagen sollen?

Weil solche Situationen plötzlich und unerwartet eintreten. Dadurch werden viele gewohnte Gesetzmäßigkeiten von Kommunikation ausgehebelt. Wir reden hier von Ereignissen wie dem Tod einer nahestehenden Person oder eine:r Kolleg:in, einer schweren Erkrankung oder einem unvorhergesehen Jobverlust. Krisen im Sinne einer Unternehmensinsolvenz zählen für mich nicht dazu. Auf die kann man sich vorbereiten, oft über Monate. Plötzliche Ereignisse dagegen führen im ersten Moment fast immer zu einer Art Schockstarre, in der wir nicht wissen, was wir sagen sollen. Dahinter steckt vor allem Hilflosigkeit. Damit aus Hilflosigkeit keine dauerhafte Sprachlosigkeit wird – denn beides hängt eng zusammen – brauchen solche Situationen andere Regeln der Kommunikation, vor allem für das Umfeld. Sonst droht, dass die Menschen sich immer mehr zurückziehen und die Kommunikation irgendwann ganz abbricht.

Was ist im Normalfall wichtig für eine zielgerichtete Kommunikation, durch die unsere Botschaften ankommen?

Klingt banal, aber erst einmal voranzustellen, worüber man sprechen möchte. Es tatsächlich auszusprechen. Willst du beispielsweise über das Thema Struktur sprechen, solltest du das Wort auch erwähnen und am besten direkt am Anfang das Thema deutlich machen: »Heute möchte ich mit dir über das Thema sprechen, wie wir das Projekt strukturell umsetzen.«

Ebenso wichtig: Am Anfang das Ende im Sinn zu haben. Wenn Thema und Ziel klar sind, kann man sich an den einzelnen Argumenten entlanghangeln und mit der Zielsetzung im Blick dafür sorgen, dass es am Ende rund wird und nicht in Gelaber mündet. Ein gutes Gespräch dauert übrigens nicht lange. Sagen wir mal in fünf bis maximal zehn Sätzen ist meistens alles gesagt. Alles andere ist das Gleiche nur nochmal in blumig und damit Zeitverschwendung und birgt außerdem die Gefahr, dass der Punkt doch nicht richtig ankommt. Direktheit ist wichtiger als Diplomatie – außer in Krisengesprächen.

Und beantworte zumindest für dich die Frage: In welcher Funktion sprichst du in der jeweiligen Situation? Sprichst du als Mutter? Sprichst du als Führungskraft oder als Angestellte? Als Dienstleister:in oder Kolleg:in? Sagt dir beispielsweise eine Mitarbeiterin, dass sie unbedingt frei braucht, weil ihre Kinder einen wichtigen Termin haben, hast du vielleicht Empathie und Verständnis, weil du selbst Kinder hast. Als Vorgesetzte:r siehst du das aber vielleicht anders, weil du den Dienstplan einhalten musst. Es ist daher wichtig, kenntlich zu machen, aus welcher Rolle heraus, du gerade sprichst.

Haben wir klargemacht, worum es gehen soll, in welcher Rolle wir fungieren und haben schlüssige Argumente mit Blick auf unser klares Ziel, fehlt nur noch die Emotionalisierung unserer Botschaft. Für eine überzeugende Kommunikation müssen wir bei unserem Gegenüber den analytischen und emotionalen Bereich des Gehirns ansprechen. Da ich ursprünglich aus dem Marketing komme, vergleiche ich das gerne mit klassischer Werbung, in der ein nicht einfach nur ein Gegenstand abgebildet und erwartet wird, dass Menschen ihn gleich ansprechend finden. Er wird durch Musik, eine Story oder eine Bildverfremdung angereichert mit Emotionen, so dass wir das Gefühl bekommen, wir müssen ihn unbedingt kaufen. So ist es bei der Kommunikation in Gesprächsform auch, wenn wir etwas mit ihr erreichen möchten. Nehmen wir eine Gehaltsverhandlung als Beispiel: Du kannst sagen, du möchtest mehr Gehalt und sachliche Argumente dafür anführen. Darauf bekommst du vermutlich sogar die Rückmeldung von deinem Chef oder deiner Chefin, dass sie darüber nachdenken. Aber er oder sie haben das vermutlich schnell wieder vergessen und du musst mehrfach nachhaken, denn euer Gespräch ist nicht im emotionalen Gedächtnis geblieben. Besser, du ergänzt noch, dass du dich sonst nicht wertgeschätzt fühlst. Plus, und jetzt kommt der letzte wichtige Schritt gelungener Kommunikation: Du beziehungsweise ihr zieht aus dem Gespräch eine Konsequenz und geht mit einer Idee oder einem konkreten Fahrplan aus ihm heraus. In diesem konkreten Fall könnte das beispielsweise sein, dass ihr verabredet, innerhalb eines gewissen Zeitraums das Gehalt auf ein bestimmtes Level zu heben.

Warum funktioniert Kommunikation in Krisensituationen nicht nach dem gleichen Prinzip?

Weil die meisten Betroffenen – bis auf wenige Ausnahmen – gar nicht kommunizieren wollen – zumindest nicht über das eigentliche Thema. Das ist gegenläufig zu dem, was wir gelernt haben, was gute Kommunikation in der Regel ausmacht. Das verunsichert viele.

Nehmen wir mal den Extremfall, einen Todesfall. Schon mit dem Start der Konversation fängt die Unsicherheit häufig an. »Mein Beileid« empfinden viele als zu einstudiert, zu generisch, »meine Anteilnahme« als zu antiquiert. Beides ist war etwas abgedroschen, aber durch ihre Ritualisierung sind es trotzdem hilfreiche Formulierungen. Mit ihnen kannst du erst einmal nicht viel falsch machen. Wenn du denkst, du weißt gar nicht, was du sagen sollst, ist es sinnvoll, genau das ehrlich zu kommunizieren. Je authentischer wir als Nicht-Betroffene reden, desto hilfreicher ist es für den anderen. Auch die eigene Erfahrung zu teilen und zu zeigen, dass man diese Art von Verlust nachempfinden kann, kann zwar dem anderen nicht den individuellen Schmerz nehmen, aber eine Verbundenheit schaffen, durch die er oder sie sich weniger allein und verstanden fühlt. Es hilft dem anderen außerdem, sich neu zu orientieren, wenn da jemand ist, der genau das bereits überstanden hat. Deshalb sind Trauergruppen auch sehr erfolgreich.

Trauer ist keineswegs nur ein Gefühl, sondern ein komplexer neurobiologischer Prozess. Verschiedene Hirnregionen interagieren miteinander, um den Verlust zu verarbeiten. Interessanterweise ähneln die Aktivitätsmuster im Gehirn während der Trauer denen, die bei Suchtverhalten beobachtet werden. Das Belohnungssystem wird aktiviert, wenn wir an die verstorbene Person denken oder uns nach ihr sehnen – ähnlich wie bei einem Entzug. Dies erklärt, warum Trauernde oft das Gefühl haben, »nicht loslassen« zu können. Dafür sollte das Umfeld auf jeden Fall Verständnis aufbringen.

Die Gesetzmäßigkeit für solche Situationen generell lautet: Die Bedürfnisse des Menschen, der sich in der Krise befindet, in den Vordergrund rücken, proaktiv immer wieder Gesprächsangebote oder andere Kommunikationsangebote machen.

Das bedeutet konkret?

Wenn der andere sich nicht öffnet, gehen wir schnell davon aus, er oder sie will ja nicht drüber sprechen. Auf ein einfaches »Wie geht es dir?« oder »Wie fühlst du dich?« haben die meisten Betroffenen allerdings einfach keine Antwort. Klassische Gesprächstherapien sind daher nicht unbedingt der richtige Ansatz für Trauernde. Zum Glück gibt es aber andere Möglichkeiten, in Kontakt zu kommen – etwa, indem man zusammen Musik hört. Über Musik lässt sich sprechen, ohne das eigentliche Thema direkt anzurühren.

Statt Gesprächstherapie können Menschen in Krisensituationen Tanztherapien und Bewegung helfen, Gefühle auszudrücken, Stresshormone ab- und Glückshormone aufzubauen – ob professionell angeleitet, zu Hause mit Musik oder im heimischen Wald. Die Natur kann sehr heilsam sein.

Eine weitere schöne Möglichkeit, die ich erst kürzlich entdeckt habe, ist die Bibliotherapie. Für Menschen, die gern schreiben, kann es befreiend sein, Gedanken und Gefühle aufzuschreiben. Daraus können wiederrum Gespräche entstehen, entweder mit einer vertrauten Person oder einem Therapeuten.

Letztlich gibt es kein Patentrezept für »richtiges Trauern«. Es hängt von der Persönlichkeit ab, welche Form der Kommunikation für die Trauerarbeit wirklich sinnvoll ist. Wer gerne schreibt, sollte schreiben. Wer tanzt, sollte tanzen. Wer draußen Kraft schöpft, sollte in die Natur gehen oder ans Meer fahren. Und wer reden möchte, soll reden.

Wichtig sind Struktur und Regelmäßigkeit. Trauernde schaffen es oft nicht allein, solche heilenden Dinge in ihren Alltag einzubauen. Sie brauchen ein Umfeld, dass wahrnimmt, was der einzelne Mensch gerade braucht, und konkrete Angebote macht: »Darf ich dir eine Suppe kochen?«, »Soll ich Musik anmachen?«, statt »Melde dich, wenn du was brauchst.« Trauernde Menschen wissen meist selbst nicht, was sie brauchen. Sie sind darauf angewiesen, dass sich ihr Umfeld kümmert.

Buchtipp:
Der Kommunikationshappen
Jana Assauer und Mona Schnell (Hrsg.) im Interview mit Anke Nennstiel u.a.
ISBN 978-3-98640-030-9