Interview mit Viola Restle zum Präsentieren von Zahlen
Frau Restle, Sie stehen für zwei Themenkomplexe: Finanzen & Controlling sowie Präsentation & Bühnenpräsenz. Wie passt das beides zusammen?
Das ist sicher eine seltene Kombination, ergänzt sich aber umso besser. Die größte Expertise bringt Sie nur dann weiter, wenn Sie sie Ihrer Umwelt begreiflich machen können. Zahlen analysieren und verstehen reicht nicht. Um wirksam zu sein, müssen Sie Ihre Erkenntnisse auch Fachfremden nahebringen können. Und genau darum geht es beim Präsentieren: komplexe Themen verständlich zu machen und überzeugend zu kommunizieren. Auf der anderen Seite erfordert auch ein gute Präsentation mehr als Kreativität und Kommunikation: Nur wenn Ihre Gedankengänge klar strukturiert und logisch aufgebaut sind, können die Zuhörer mit Leichtigkeit folgen. Und das wiederum ist eine absolute Stärke von Zahlenmenschen.
Was ist der größte Fehler, den man machen kann, wenn man über Zahlen redet?
Über Zahlen zu reden! Zahlen alleine sind abstrakt und unser Hirnareal für abstraktes Denken ist sehr klein. Daher sind wir sehr langsam beim Erfassen und Verstehen von Zahlen und Daten. Daniel Kahnemann beschreibt in seinem Buch „Schnelles Denken – langsames Denken“ sehr anschaulich die zwei Systeme unseres Gehirns. Sie können sich das wie einen riesigen Eisberg vorstellen. System eins ist der Teil unter Wasser: unser schnelles, unbewusstes Denken, das für einfache Reaktionen verantwortlich ist und die allermeisten unserer Handlungen steuert. So sehen Sie etwa sofort, welches von zwei Objekten das Größere ist. System zwei ist die Spitze des Eisbergs, die klein aus dem Wasser herausragt: unser langsames Denken für kognitive, anspruchsvolle Aufgaben. Dieses bewusste Denken wird zum Beispiel benötigt, wenn wir einen Text lesen und ihn auch verstehen, wenn wir Kopfrechnen oder auch, wenn wir Zahlen vergleichen.
Ein entscheidendes Detail ist von großer Bedeutung, wenn Sie Zahlen präsentieren: Die Kapazität von System zwei ist begrenzt und konkurriert um Aufmerksamkeit, System eins ist multitaskingfähig und hat so gut wie unbegrenzte Kapazitäten. Sobald Sie bei Ihrem Publikum System zwei anregen, ist es ausschließlich bei diesem einen Gedankengang – und zwar langsam und fokussiert. Wenn Sie dann zu schnell sind oder auch nur einem Zuhörer eine Frage kommt, haben Sie ihn verloren. Gute Präsentationen werden weitgehend von System eins verstanden. Nur leider sind Zahlen immer abstrakt. Zahlen zu verstehen erfordert System zwei. Daher sollten Sie vermeiden, zu viel über Zahlen zu reden.
Leichter gesagt als getan: Viele Unternehmen haben durch Corona ein schwieriges Jahr hinter sich, die Zahlen sind schlecht. Aber auch Politiker und Experten argumentieren immer wieder mit für uns abstrakten Infektionszahlen oder hohen Summen. Was können sie besser machen?
Um Zahlen verständlich zu machen, müssen sie begreifbar oder sogar sichtbar werden, das heißt sie ins Verhältnis zu setzen zu bekannten Größen oder auf fassbare Einheiten herunterbrechen. 10 Milliarden Euro Ausgaben für die Coronakrise sind sehr viel – 100 Milliarden auch. Das sind beides unvorstellbar große Zahlen, der Unterschied nur schwer fassbar. Greifbarer werden sie, wenn Sie die Werte auf die Einwohnerzahl herunterbrechen: Ob die Krise nun zu einer pro-Kopf Belastung von 125 EUR oder 1.250 Euro führt, macht auf einmal einen großen Unterschied.
Zahlen können Sie sichtbar machen, indem Sie sie in Bilder übersetzen. Hier kann PowerPoint tatsächlich eine große Hilfe sein. Zeigen Sie Diagramme statt Zahlen. Wie schon gesagt: den Größenvergleich erledigt System eins. Die stärksten Bilder können Sie aber ganz ohne PowerPoint im Kopf der Zuhörer entstehen lassen. Ein Beispiel:
Der Chef einer Brauerei musste durch den Lockdown im vergangenen Jahr einen Verkaufsrückgang von 10.000 Litern Bier hinnehmen. Wie können Sie daraus ein Bild machen? Stapeln Sie die Bierkisten. Zehntausend Liter Bier ergeben so einen 300 Meter hohen Stapel – das entspricht der Höhe des Eiffelturms. Haben Sie jetzt ein Bild vor Augen?
Zu Beginn der Pandemie wurden die Corona-Toten öfter mit den Todesopfern der letzten Grippewelle verglichen. Das macht die Zahl fassbar und vergleichbar, denn eine Grippewelle ist uns vertraut. Dennoch habe ich den Vergleich mit der Grippewelle nur in den ersten Monaten der Pandemie gehört. Da lag die Zahl der Corona-Todesfälle noch deutlich unter den Grippetoten, die Anzahl der Corona-Opfer erschien damit niedrig und vergleichsweise harmlos. Das führt uns zu einem entscheidenden Aspekt: der Bewertung der Zahlen. Eine Zahl an sich ist neutral, aber sobald Sie sie verständlich und greifbar machen, interpretieren Sie sie. Ihre subjektive Bewertung zeigt sich in der Auswahl Ihrer Vergleiche und Bilder.
Auch 10.000 Liter Bier müssen nicht viel sein: Wenn Sie diese in ein olympisches Schwimmbecken kippen, ist der Boden nur knapp einen Zentimeter hoch bedeckt – also warum jammert der Kerl so? Wichtig ist, dass Sie sich dieser Subjektivität und Deutungsmacht bewusst sind – nicht nur, wenn Sie Zahlen präsentieren, sondern vor allem auch, wenn Sie solch eindrückliche Beispiele hören.
Unabhängig von Zahlen, was ist Ihrer Meinung nach einer der größten Hebel, um die eigene Wirkung zu verbessern?
Neben dem WAS kommt es vor allem auf das WIE an – auf Ihren Auftritt. Der muss nicht auf einer Bühne stattfinden, sondern heute vielleicht eher remote, vor und hinter dem Bildschirm.
Sehen Sie Ihren Auftritt wie eine Verpackung: Eine gute Verpackung präsentiert den Inhalt optimal. Zwei Aspekte entscheiden allen voran über einen gelungenen Auftritt: Ihre Stimme, denn sie transportiert die Inhalte. Nur wenn sie angenehm zu hören und leicht verständlich ist, das heißt laut und langsam genug mit deutlicher Aussprache, müssen Ihre Zuhörer sich nicht darauf konzentrieren, Ihre Worte zu verstehen und können sich so entspannt Ihren Inhalten widmen. Der zweite Aspekt ist die Körpersprache, denn auch Ihr Körper kommuniziert mit dem Publikum. Ständig. Und das nicht unbedingt in Ihrem Sinne.
Die Körpersprache ist ja auch etwas, das eher durch das Unterbewusstsein gesteuert wird. Wie lernt man denn, sie gezielt einzusetzen ohne dass es wieder einstudiert wirkt?
Durch üben, üben, üben. Denn Reden lernt man nur durchs Reden. Wenn Sie bisher wenig Gelegenheiten dazu haben, schaffen Sie sich welche und suchen Sie Gleichgesinnte. Oder spielen Sie Improtheater. Warum Improtheater? Viele der Fähigkeiten, die gute Improspieler auszeichnen, machen auch einen guten Redner aus: auf der Bühne mit Kreativität, Ausdruck und Stimme zu überzeugen. Und Improspielern steht ein reicher Fundus an Vorübungen und Spielen zur Verfügung, um ihre Fähigkeiten zu trainieren, die sich auch fürs Präsentieren eignen. Gerade vielleicht etwas schwierig mit einer größeren Gruppe, aber es gibt schon wunderbare Übungen, die man alleine oder zu zweit – mit ausreichend Abstand — machen kann. Eine Auswahl der besonders für Redner geeigneten Übungen habe ich in meinem Buch „Spielend präsentieren“ versammelt, das im Frühjahr in den Handel kommt, wenn vielleicht auch schon wieder das ein oder andere Training möglich sein wird.
In der Zwischenzeit gibt es ein besonders schönes Spiel, das sich „Synchro“ nennt: Zwei Spieler stehen auf der Bühne und spielen eine kurze Szene – sie agieren allerdings stumm. Zwei weitere Spieler, die unauffällig am Rande der Bühne stehen, leihen ihnen ihre Stimme. So entstehen ganz spontan überraschende Szenen und die Spieler merken, wie ihre Körpersprache interpretiert wird. Damit können Sie auch hervorragend präsentieren üben: Suchen Sie sich einen Partner, mit dem Sie gemeinsam einen Vortrag halten. Einer von Ihnen steht unauffällig im Hintergrund und spricht ohne wahrnehmbare Gestik. Der andere steht davor und übernimmt die Körpersprache. Das heißt, er unterstützt die Worte des Sprechers durch ausdrucksstarke Mimik und Gestik. Tauschen Sie danach die Rollen. Der Redner kann sich ganz auf die Gestik konzentrieren. Seien Sie mutig, experimentieren Sie und probieren die verschiedensten Gesten aus. Als Sprecher liegt Ihr Fokus ganz auf Ihren Inhalten und Ihrer Stimme. Außerdem merken Sie plötzlich, was Ihre Hände tun, obwohl sie nichts tun sollen.