Luise Meergans ist Abteilungsleiterin für Kinderrechte und Bildung beim Deutschen Kinderhilfswerk und beantwortet 3 Fragen über Chancen und Schutzräume für Kinder und Jugendliche im Internet. 

Frau Meergans, am 11. Februar findet der Safer Internet Day 2020 statt. Warum ist das Thema Internetsicherheit gerade in Bezug auf Kinder und Jugendliche so wichtig?

Das Internet ist heute kein abgeschlossener Raum mehr. Viele Erwachsene haben noch die Geräusche ihres ersten Modems im Ohr. Sobald das verklungen war, war man online. So eine klare Abgrenzung gibt es heute nicht mehr. Das Internet ist kein Ort, wo man mal hingeht, um Aktionen auszuführen. Es ist allgegenwärtig. Man besucht nicht mehr nur eine Webseite, sondern es kriecht in alle Bereiche: Die Kommunikation, die Informationsbeschaffung, die Fortbewegung von A nach B. Die Unterscheidung zwischen analog und digital existiert für Kinder und Jugendliche nicht so, wie für die Modemgeneration. Das Internet ist ein gesellschaftlicher Raum geworden, in dem Politik stattfindet, Partizipation, Unterhaltung. Für unsere Gesellschaft ist es ein wichtiger Teil des Lebens geworden und wenn sich die Gesellschaft wandelt, wandelt sich auch die Kindheit, die darin stattfindet. Daher lässt es sich nicht vermeiden, dass Kinder als Teil der Gesellschaft auch daran teilhaben wollen und auch sollten.

Es gibt viele kritische Stimmen und es gibt auch viel zu kritisieren, aber es besteht auch unglaublich viel Potenzial für Kinder und Jugendliche. Wir als Kinderrechtsorganisation sprechen auch gerne diese Chancen an, was die Möglichkeit der Information angeht, der Kommunikation und Partizipation sowie der Entfaltung der Kreativität. In dem Moment aber, in dem wir die Nutzung fördern wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass das Internet für Kinder ein sicherer Raum ist. Wir müssen Förderungs- und Beteiligungsrechte abwägen mit den Schutzrechten gemäß der UN-Kinderrechtskonvention. Wir müssen geschützte Räume schaffen, in denen Kinder sich ausprobieren können, Fehler machen dürfen, ohne dass diese schlimme Konsequenzen nach sich ziehen, wo wir sie aber auch autonom agieren lassen können.

Wie können solche Schutzräume denn konkret aussehen?

Ich vergleiche das immer gerne mit analogen Schutzräumen, zum Beispiel Spielplätzen: Sie sind meist umzäunt, es gibt hohe Sicherheitsvorschriften für die Spielgeräte. Kinder können sich hier gut frei und autonom bewegen. Die Eltern ziehen sich an den Rand zurück, wenn die Kinder größer sind, können sie auch alleine hin. Trotzdem bewegen sich Kinder aber nicht nur auf Spielplätzen, sondern sind auch auf der Straße unterwegs auf dem Weg dorthin oder zur Schule. Auch hier ist es unsere gesellschaftliche Verantwortung für ihre Sicherheit zu sorgen. Und das tun wir auch: durch Ampeln, Übergänge, „Achtung Schule“-Schilder oder Spielstraßen.

Im Internet als gesellschaftlichem Raum sollte das Gleiche gelten. Es gibt schon tolle Schutzräume und Angebote. Der Verband Seitenstark verzeichnet über 200 Internetseiten für Kinder und Jugendliche. Wir selbst haben die Seite kindersache.de, auf der Fragen zu Kinderrechten beantwortet werden, aber es gibt auch eine Community, eine Kontaktplattform oder ein Videoportal, in dem Kinder ihre Videos hochladen können. Das Ganze wird allerdings medienpädagogisch begleitet. Da sitzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich die Videos vorher anschauen und mit den Kindern ins Gespräch gehen, ob die Inhalte, zum Beispiel ein Strandbesuch im Bikini, wirklich ins Internet gehören ober was es für Folgen haben könnte, wenn man ein Video mit einem Rihanna-Song hochlädt. So können sie sich ausprobieren ohne eventuelle negative Konsequenzen.

Aber natürlich sind Kinder und Jugendliche nicht nur dort unterwegs, sondern beispielsweise auch auf YouTube. Das ist aber kein Angebot für Kinder. Es gibt zwar eine Kids App, aber die ist, so meine Einschätzung, eher ein Angebot für Eltern. Und irgendwann sind Kinder und Jugendliche überall im Netz unterwegs, auf YouTube, Netflix, Wikipedia, WhatsApp, in Mediatheken oder auf Instagram. Dort müssen sie ebenfalls geschützt werden vor Inhalten, die nicht kindgerecht sind.

Gerade auf YouTube sind Kinder ja zunehmend nicht mehr nur Zuschauer, sondern auch Akteure. Das Thema Kinder-Influencer wird immer wieder heiß diskutiert. Fehlen uns hier die passenden Gesetze für die digitalen Zeiten?

Wir haben eigentlich ein sehr gutes Jugendarbeitsschutzgesetz in Deutschland, das Kinder vor Kinderarbeit schützt, denn bei sehr vielen Kinder-Influencern handelt es sich um eine moderne Form der Kinderarbeit. Die Gesetze greifen eigentlich, aber sie müssen auch umgesetzt werden. Wir haben hier oftmals ein Durchsetzungsdefizit seitens staatlicher Behörden.

Und generell wünsche ich mir mehr staatliche und gesellschaftliche Verantwortung für ein kinderfreundliches Internet. Es gibt zum Beispiel kaum durchgehende Finanzierungen für Projekte, die daraufhin arbeiten. Wir erwarten aber auch mit Spannung die Reform des Kinder- und Jugendmedienschutzes, die dieses Jahr ansteht. Es gibt in Deutschland an dieser Stelle vielerlei Probleme. So haben wir beispielsweise mit Bund und Ländern gleich zwei Instanzen, die sich mit dem Thema befassen: Dann entsteht zum Beispiel die kuriose Situation, dass ein Film in der Alterskennzeichnung von zwei Instanzen unterschiedlich bewertet wird – einmal für die Veröffentlichung auf DVD, einmal für das Streaming. Das schafft vor allem bei Eltern, aber auch Kindern Verwirrung und muss sich ändern. Wir brauchen auch ein transparentes Jugendschutzsystem, eine zentrale Anlaufstelle für Kinder und Eltern, die Kinder beteiligt. Und, wie gesagt, mehr gesellschaftliches Engagement. Dass das etwas bewirkt, sehen wir ja gerade bei der Klimadebatte. Solche Aktionstage wie der Safer Internet Day, die auch global ausgerichtet sind wie das Internet selbst und dessen Global Player, sind daher ein wichtiger Baustein.