Prof. Dr. Maria Wersig ist seit 2017 Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Außerdem lehrt und forscht zum Antidiskriminierungsrecht und Sozialrecht an der Fachhochschule Dortmund. In Berlin hat sie gerade den 25 Frauen Award von Edition F, Handelsblatt und Zeit Online verliehen bekommen. Im Montagshappen-Interview verrät sie, warum auch im Recht noch Wandel nötig ist.

Sie sind Präsidentin des Deutschen Jurstinnenbund e.V. Warum ist ein solcher Verein nur für Frauen nötig und wichtig?

Gleiche Rechte für Frauen und Männer haben wir erreicht – zumindest auf dem Papier. Bei der tatsächlichen Durchsetzung der Geschlechtergerechtigkeit hapert es aber noch. In vielen Bereichen des Rechts muss sich deshalb etwas tun. Im Deutschen Juristinnenbund (djb) setzen wir uns mit unserer rechtspolitischen und rechtswissenschaftlichen Arbeit seit über 70 Jahren für Frauenrechte und Gleichberechtigung ein. Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit als reiner Frauenverband ist außerdem die Vernetzung Gleichgesinnter und die gegenseitige Unterstützung. Denn Geschlechtergerechtigkeit ist Teamwork!

Mitglied werden im djb kann jede Frau, die Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften studiert oder studiert hat. Unser Einsatz bezieht sich aber auf die Rechte und Lebenschancen aller Frauen, nicht nur von Juristinnen oder Ökonominnen – und geht natürlich auch Männer etwas an.

Sind Juristen hauptsächlich die viel beschriebenen privilegierten weißen Männer oder wie stark ist bereits ein Wandel hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit erkennbar?

Inzwischen studieren ja sogar mehr Frauen als Männer Rechtswissenschaft, sie erzielen bessere Noten und aktuell wurden sogar mehr Frauen zum Anwaltsberuf zugelassen als Männer. Wenn man aber schaut, wie einflussreiche Positionen besetzt sind, ob das die obersten Gerichtshöfe des Bundes sind, der Anteil der Juraprofessorinnen oder die Partnerebene in großen Wirtschaftskanzleien, dann wird man immer noch eher Männern begegnen. Der weibliche Nachwuchs allein wird es nicht richten, denn es gibt immer noch genügend Potenzial für Diskriminierung bzw. Strukturen, die die Karrieren von Männern eher fördern.

Auch interessant ist, mit welchen Fällen eigentlich die juristische Ausbildung gestaltet wird. Generell bilden die Ausbildungsfälle die Diversität unserer Gesellschaft nicht ab.

Studien zeigen, dass Geschlechterstereotype die Ausbildungsmaterialien prägen. Frauen tauchen in Übungsfällen zum Beispiel als Sekretärin oder Geliebte auf, also sehr stereotyp und in Relation zu Männern gedacht. Daran müssen wir dringend arbeiten.

Sie sagen, dass die ‚faktischen Nachteile‘ für Frauen heute weiter bestehen. Um welche Nachteile handelt es sich?

Das Bundesverfassungsgericht hat zum Gleichberechtigungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes vor über 25 Jahren festgestellt, dass es nicht nur um formal gleiche Rechte geht. Sondern, dass darin ein Gestaltungsauftrag für die Lebenswirklichkeit enthalten ist. Es geht also um Gleichstellung in allen Lebensbereichen und die Überwindung faktischer Nachteile. Ein faktischer Nachteil ist zum Beispiel die ungleiche Bezahlung von Frauen, ihre höhere Betroffenheit von Altersarmut oder die Tatsache, dass sie immer noch die Hauptlast der unbezahlten Arbeit in der Familie tragen. Diese Nachteile gilt es zu überwinden, erst dann ist das Versprechen der Gleichberechtigung umgesetzt.

Wie kann man mit Hilfe des Gesetzes, die Geschlechtergerechtigkeit vorantreiben?

Beim Thema gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit sehen wir, dass dieser Grundsatz seit Jahrzehnten gesetzlich festgelegt ist, er in der Praxis aber nicht gelebt wird. Um geschlechtergerechte Bezahlung tatsächlich zu erreichen, müssten also die Gesetze angepasst werden. Bei der Entgeltgleichheit wäre ein struktureller Ansatz sehr sinnvoll, der die Unternehmen verpflichtet, ihre Entgeltstrukturen einer Analyse zu unterziehen und dann ggf. anzupassen. Eine solche Verpflichtung besteht aber nicht, auch das Entgelttransparenzgesetz fordert lediglich dazu auf. Für ein effektives Recht müssen außerdem staatliche oder zivilgesellschaftliche Institutionen ermächtigt werden, die Einhaltung der Entgeltgleichheit vor Gericht durchzusetzen. Gleiche Bezahlung gerichtlich einzufordern ist in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern allein den diskriminierten Personen überlassen. Im Verbraucherschutzrecht und dem Umweltschutz gibt es entsprechende Verbandsklagemöglichkeiten bereits, für Frauenrechte brauchen wir sie ebenfalls. Das ist ein Beispiel, wie man Gesetze für das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit einsetzen kann. Ein anderes Beispiel ist das Elterngeld: Die sogenannten Partnermonate wurden bei der Einführung als Wickelvolontariat diffamiert. Heute nutzen die Väter selbstverständlich diese Leistung – der nächste Schritt wäre die Ausweitung der Partnermonate.

5. Haben Sie konkrete Beispiele, deren Umsetzung Sie sich für die Zukunft wünschen?

Die Liste ist lang. Es gibt immer noch Gesetze, die grundlegend überarbeitet werden müssen, weil sie Frauen mittelbar benachteiligen bzw. in bestimmte Rollen drängen. Dazu würde ich die Minijobs oder das Ehegattensplitting zählen. Außerdem müssen wir noch viel tun beim Thema Schutz vor Gewalt (auch in digitaler Form) und der Unterstützung von Opfern von Gewalt. Ihre Rechte müssten auch vor Gericht gestärkt werden. Zudem sollten wir dringend über Maßnahmen reden, die bestehende Strukturen der Männerdominanz überwinden, zum Beispiel beim Thema Parität in der Politik oder wirksamere Quoten im Öffentlichen Dienst.