Lange Zeit ging es stetig bergauf mit dem Wirtschaftswachstum in Deutschland, nun gerät es ins Stocken. Die Voraussage für 2019 ist der geringste Wert für die Konjunkturentwicklung seit 2019. Wir haben mit Prof. Dr. Roland Döhrn vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, über die Gründe und über eine Einordung von Wirtschaftsprognosen allgemein gesprochen.

Die Bundesregierung hat die Wachstumsprognose für 2019 auf 1 Prozent gesenkt. Wie ist Ihre Prognose?

In unserer letzten Prognose Ende vergangenen Jahres haben wir für 2019 noch ein Plus von 1,4 Prozent erwartet. Die seitdem eingehenden Nachrichten waren jedoch nicht gerade positiv. Wenn ich heute prognostizieren müsste, käme ich auf einen ähnlichen Wert wie die Bundesregierung.

Prognosen bezüglich der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts schwanken teilweise stark. Wie ist das zu erklären?

Man muss sich immer vor Augen halten: Niemand kann wirklich in die Zukunft schauen. Wir können nur aus den vorliegenden Daten und politischen Entscheidungen Schlüsse auf künftige Entwicklungen ziehen. Die Unterschiede zwischen den Prognosen erklären sich zum allergrößten Teil durch Unterschiede im Informationsstand, den die Prognostiker bei ihrer Arbeit hatten. Um ein Beispiel zu geben: Mitte Dezember 2018, als viele Prognosen erstellt wurden, folgte man noch der Einschätzung der Automobilindustrie, dass die seit Sommer 2018 kräftig gesunkene PKW-Produktion ein vorübergehendes Phänomen sei und bald eine Normalisierung erfolgen würde. Heute weiß man, dass die Produktion auch im Dezember und im Januar schlecht war, die Normalisierung also bislang nicht eingetreten ist.

Bei allen Instituten war die Herbstprognose noch besser. Auch die Bundesregierung ist noch von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,8 Prozent ausgegangen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht den Brexit und Handelskonflikte als Ursachen für das verlangsamte Wachstum. Stimmen Sie damit überein?

In der Tat läuft die Weltwirtschaft schlechter, und darauf reagiert die deutsche Wirtschaft erfahrungsgemäß recht sensibel. Dass das bereits am Brexit liegt, wage ich aber zu bezweifeln. Auch wenn die Exporte nach Großbritannien schon etwas nachgelassen haben, erklärt das nicht die Stärke der aktuellen Konjunkturverlangsamung. Augenblicklich spielen Probleme in der Automobilindustrie eine wichtige Rolle. Hier standen bei Einführung des neuen Abgas- und Verbrauchstest WLTP im September 2018 nicht genügend Testkapazitäten zur Verfügung. Die Folge war, dass einige Modelle wegen fehlender Zertifikate nicht verkauft werden durften und ihre Produktion vorübergehend gestoppt wurde. Das mag ein kurzfristiger Effekt sein, aber die Autoindustrie kämpft auch mit langfristigen Problemen – etwa mit dem „Dieselskandal“ und dem Übergang zur E-Mobilität. Mögliche Autozölle der USA, die noch niemand in seiner Prognose berücksichtigt hat, würden die Probleme noch vergrößern.

Sehen Sie in einer Stärkung des Binnenmarktes eine Chance, dass Deutschland sich unabhängiger macht vom Handel mit anderen Ländern?

Die Forderung nach einer Stärkung der Binnennachfrage ist ja oft zu hören. Nach meiner Einschätzung wird da aber sehr mechanistisch argumentiert. Fakt ist doch, dass der demografische Wandel die Binnennachfrage eher dämpfen wird: Wir werden weniger und wir werden älter, womit sich auch die Konsumbedürfnisse ändern. So dürften in den kommenden Jahren beispielsweise immer weniger Autos in Deutschland verkauft werden. Die Autoindustrie ist daher auf das Auslandsgeschäft angewiesen. Die Alternative ist, dass wir uns allmählich auf ein Auslaufen der Automobilproduktion in Deutschland einstellen. Damit würden aber Jobs mit vergleichsweise hohem Einkommen und hoher Kaufkraft verschwinden.

Die Arbeitslosenquote soll laut Prognose der Bundesregierung weiter sinken. Wie kann das sein angesichts der vorausgesagten Wachstumsdrosselung?

Arbeitskräfte sind in Deutschland in vielen Bereichen nicht zuletzt aufgrund der Alterung der Bevölkerung knapp und Unternehmen tendieren stärker als früher dazu, Personal zu halten, notfalls auch zulasten der Produktivität. Zugleich herrscht Arbeitskräftebedarf in Branchen, die kaum auf die Konjunktur reagieren, beispielsweise im Gesundheits- und Pflegebereich. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass trotz einer schwächeren Wachstumsrate die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeht.