Da-Vinci-Coach® Jens Möller kennt sich aus mit Genies und innovativem Denken. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Leben des Universalgenies Leonardo da Vinci. Er ist Mitglied der Leonardo da Vinci Society London und Gründer des „Leonardo da Vinci Forums“. Im Montagshappen-Interview beantwortet er Fragen rund um das Thema Genie.

Leonardo da Vinci lebte in einer Epoche voller radikaler Umbrüche, heute stecken wir mitten in Disruption und temporeichem Wandel. Persönliche Weiterentwicklung und Proaktivität sind damals wie heute gefragt. Warum können wir aber von einem Mann, der im 15. Jahrhundert geboren wurde, auch in unserem heutigen (Business)-Alltag etwas lernen?

Weil Leonardo in seiner Art, wie er gedacht und Dinge entwickelt hat, völlig zeitlos ist. Kaum ein Mensch der Geschichte hat unsere Vorstellung von visionärer Schöpferkraft so stark beeinflusst wie Leonardo. Und genau diese visionäre Kraft brauchen wir heute mehr denn je. Wenn wir die größten Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel, die rasante Digitalisierung oder die Bildungskrise erfolgreich lösen wollen, benötigen wir vor allem eines: neue Ideen und Visionen. Vom leidenschaftlichen Querdenker Leonardo können wir lernen, wie wir solche visionären Ideen proaktiv entwickeln.

Da Vinci wurde nicht gerade vom Schicksal begünstigt, aber kaum einer wird je sein Genie anzweifeln. Was machte ihn zu so einem herausragenden Kopf im Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit?

Für mich ist es vor allem sein Mut, revolutionäre Ideen auszudrücken und dabei immer wieder die Grenzen des Etablierten zu überschreiten. All seine bahnbrechenden Ideen, Beobachtungen und Erfindungen wären ohne seine Bereitschaft, jede Form blinder Nachahmung abzulehnen und eigenen Überzeugungen zu folgen, nicht möglich gewesen. Seine Zeitgenossen hielten seine Arbeiten an Flugmaschinen für verrückt. In ihrer Vorstellung war das Fliegen allein den Vögeln und den Engeln im Himmel vorbehalten. Leonardo wusste das. Doch der Glaube an seinen Traum vom Fliegen war stärker. Er wollte nicht auf eine bessere Zukunft warten – er wollte sie selbst gestalten.

Ihr Buch heißt „Die Da-Vinci-Formel“. Geben Sie uns Regeln an die Hand, wie jeder, egal welche sozialen Voraussetzungen er mitbringt, ein Genie werden kann?

Ja, genau das ist die Idee. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder von uns die Fähigkeit besitzt, Außergewöhnliches zu leisten. Die Kunst ist es, dieses einzigartige Potenzial zu erkennen und erfolgreich zu nutzen. Leonardos Erfolgsprinzipien zeigen uns, dass es ganz bestimmte Prinzipien oder Muster gibt, die innovatives Denken und Handeln begünstigen. Exemplarisch seien hier die drei Prinzipien, „Verbinde das Unverbundene“, „Fühle, was andere fühlen“ oder „Probe deinen Mut“ genannt. Wenn wir uns intensiver mit diesen Prinzipien beschäftigen und uns bewusst darauf einlassen, werden zwei Dinge passieren: Zum einen werden wir unsere bisherigen Denkmuster hinterfragen, weil wir merken, dass uns gerade unser Gewohnheitsdenken beim Entwickeln innovativer Ideen im Weg steht. Zum anderen trainieren wir durch die konkrete Umsetzung der Regeln im Alltag unser kreatives Potenzial und unsere Problemlösungskompetenz.

Ein Erfolgsprinzip, von dem Sie in Ihrem Buch sprechen lautet: „Klaue gute Ideen und perfektioniere sie!“ Wie genau ist das gemeint?

Lange Zeit glaubten Wissenschaftler, dass Leonardos Ideen allein das Resultat seines einzigartigen Erfindergeists waren. Später zeigte sich jedoch, dass viele seiner Ideen im Original gar nicht von ihm stammten. Zahlreiche seiner Konstruktionen lassen sich in ähnlicher Form bereits bei anderen Renaissanceerfindern entdecken. Leonardo scheute sich nicht davor, auf fremde Ideen zurückzugreifen und sie für sich zu nutzen. Dabei ging es ihm jedoch nie um blinde Nachahmung. Wenn er sich intensiver mit einer fremden Idee befasste, tat er das immer mit der Absicht, diese zu verbessern und zu perfektionieren. Auch in unserer heutigen Zeit, arbeiten die erfolgreichsten Innovatoren nach diesem Prinzip. Der verstorbene Visionär und Apple-Chef Steve Jobs war sogar stolz darauf, ein Ideendieb zu sein und gab zu: „Bei Apple haben wir immer schamlos gute Ideen geklaut.“

Sie rechnen ein wenig mit dem „Brainstorming“ ab. Warum halten Sie „Brainstormings“, die ja gang und gäbe sind, nicht für geeignet, um innovativ zu denken?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass uns beim Brainstorming mit der typischen Frage „Was fällt Ihnen zum Thema XY ein?“, meistens nur sehr naheliegende und damit wenig innovative Assoziationen einfallen. Wenn wir an das Wort „Meer“ denken, kommen uns mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Begriffe wie „Sonne“, „Strand“ und „Urlaub“ in den Sinn. Ein anderer Grund ist ein Phänomen aus der Psychologie, das sich „hypothesenkonforme Wahrnehmung“ nennt. Es besagt, dass wir die Assoziationen anderer Brainstorming-Teilnehmer vor allem dann gut finden, wenn sie sich mit unserer eigenen Vorstellung von einer „guten“ Idee decken. Auch wenn es sich hierbei um ein sehr menschliches Verhaltensmuster handelt, hat es das Potenzial, jedes noch so gut gemeinte Brainstorming zu torpedieren. Denn häufig stehen am Ende einer Brainstorming-Session eben nicht die innovativsten Ideen, sondern die Ergebnisse, mit denen sich alle Beteiligten am wohlsten fühlen.

Was hat Empathie mit Genie zu tun?

Empathie ist für mich der Schlüssel zu wahrer Innovation. Wenn ich Menschen, Situationen und Probleme nicht richtig verstehe und durchdringe, wird es mir nicht gelingen, etwas zu schaffen, das Mehrwert hat. Es gibt eine wissenschaftliche Studie, in der Teilnehmer Ideen entwickeln mussten, um sich aus einer kniffligen Lage zu befreien. Einmal mussten sie das für sich selbst, einmal für andere tun. Die Gruppe, die anderen helfen sollte, war signifikant kreativer und innovativer. Wir sind also immer dann am innovativsten, wenn wir etwas tun, das über uns hinausgeht. Was viele nicht wissen: Leonardo war nicht der eigenbrötlerische Wissenschaftler, den heute noch viele Menschen in ihm sehen, sondern ein sehr offenherziger, freundlicher und empathischer Mensch.