Agiles Arbeiten ist voll im Trend – und doch viel mehr als ein Trend. Das Top-Management beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Agilität. Viele sind schon dabei, ihr Unternehmen zu transformieren – eingeschlossen sich selbst. Das zeigte der Agile Executive Summit Mitte November 2019, bei dem Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder zusammenkamen, um sich in vertrauensvoller Atmosphäre zum Thema auszutauschen. André Häusling, Experte für agile Personal- und Organisationsentwicklung und Veranstalter des Summits, im Montagshappen-Interview über die wichtigsten Erkenntnisse aus der Konferenz.

 

1. Herr Häusling, beim Stichwort „Agilität“ winken viele ab. Sie sehen agiles Arbeiten als Trend, der wieder vergehen wird. Warum ist dem Ihrer Erfahrung nach nicht so?

Die Komplexität und die Dynamik steigen für die Unternehmen derzeit rasant an. Auch die Bedürfnisse der Mitarbeitenden verändern sich aktuell immer stärker. Die Unternehmen müssen daher lernen, sich immer häufiger und vor allem auch schneller an neue Gegebenheiten anzupassen. Das ist kein Trend, sondern ein Grundbedürfnis der Unternehmen, weil sie sonst im Wettbewerb nicht überleben können. Das Agile Executive Summit hat das einmal mehr gezeigt. Die teilnehmenden Geschäftsführenden, Vorstandsmitglieder und C-Levels sind sehr damit beschäftigt, ihre Organisationen flexibler zu machen. Das betrifft dann nicht mehr nur einzelne Teams, sondern die gesamte Aufstellung des Unternehmens.

2. Das Agile Executive Summit fand im vergangenen Jahr zum ersten Mal statt. Hat sich in der Zwischenzeit im oberen Management im Kontext mit Agilität spürbar etwas verändert?

Die meisten Top-Manager sind inzwischen merkbar vertrauter mit agilen Managementansätzen. Und – wie schon erwähnt: Sie denken das Thema zunehmend ganzheitlicher. Dabei fangen sie auch an, die sogenannte gläserne Decke, die sonst zwischen Chefetage und Mitarbeitenden besteht, zu durchstoßen. Den Geschäftsführenden ist klar, dass auch die oberste Führungsebene sich verändern muss. Mit anderen Worten: Sie wissen, dass sie bei sich selbst anfangen müssen, wenn die Transformation in ihrem Unternehmen gelingen soll.

3. Wie weit sind die Unternehmen insgesamt in Sachen Agilität?

Grundsätzlich stecken die Unternehmen noch sehr in den Anfängen, wie Zusammenarbeit in Zukunft aussehen kann und muss. Die meisten arbeiten in der Produktentwicklung mit agilen Methoden. Darüber hinaus haben einige Firmen auch in anderen Unternehmensbereichen agile Projekte aufgesetzt. Sie hängen hier oft aber fest, weil sie sich nur auf agile Methoden konzentrieren und der strukturelle Rahmen fehlt. Zunehmend machen sich die Unternehmen zwar auch daran, ihre Organisations- und Führungsstrukturen weiterzuentwickeln. Unternehmen wie OTTO und metafinanz, die ihre Ansätze beim Summit als Impulse einbrachten, haben zum Beispiel schon angefangen, sich konkret mit neuen Strukturen und neuen Führungsformen zu beschäftigen und diese im Unternehmen einzuführen. Die überwiegende Mehrheit der Firmen hat vor so etwas aber noch großen Respekt. Das ist auch verständlich, denn wenn an einer Stelle eingegriffen wird, hat das meist auch Auswirkungen auf viele andere Prozesse im Haus.

4. Das klingt nach wirklichen Herausforderungen. Was sind die weiteren großen Herausforderungen für einen agilen Unternehmenslenker?

Eine Herausforderung ist auf jeden Fall, mit den unterschiedlichen Anforderungen aus dem Markt und der Organisation umzugehen. Es gibt Bereiche, da macht Agilität mehr Sinn und in anderen Bereichen weniger. Dies zu steuern und mit dieser „Multidextrie“ – den unterschiedlichen Notwendigkeiten von Flexibilität und Stabilität, von Innovation und Effizienz, von Neuem und Beständigem – umzugehen, ist eine Aufgabe mit sehr hohem Anspruch. Zudem ist es alles andere als einfach, diese Unterschiedlichkeit in Strukturen, Führungssystemen und der Kultur des Unternehmens gut abzubilden.

5. Über den Trend des agilen Arbeitens in den Unternehmen hinaus: Ist Agilität auch ein pädagogisches und gesellschaftspolitisches Thema?

Meiner Meinung nach darf Agilität nicht im Wirtschaftssektor stehen bleiben. Damit die Menschen in Zukunft agil arbeiten können, benötigen wir andere Bildungssysteme. Schon in der Schule sollte die Haltung zur Agilität und damit verbunden zur Selbststeuerung gefördert werden, damit die jungen Menschen sich in einer Welt voller Veränderungen zurechtfinden können. Zudem brauchen wir eine Weiterentwicklung unseres Systems im politischen Kontext unseres Zusammenlebens. Denn hier erleben wir ähnliche Muster wie in unseren Unternehmen, zum Beispiel eine hohe Distanz zwischen oben und unten. Die Politik hat sich von ihren Kunden – den Bürgerinnen und Bürgern – sehr entfernt. Um hier wieder mehr Nähe, Nutzen und Akzeptanz zu schaffen, fange ich mit meinem Beratungskollektiv auch an, mit Politik und Verwaltung zu arbeiten.