Heilpraktiker Roland Tennie betreibt im Essener Stadtteil Werden eine Praxis für Komplementärmedizin. Weil zurzeit Heilpraktiker wieder stark unter Beschuss stehen, der Megatrend Gesundheit aber auch dafür sorgt, dass Menschen sich über die klassische Schulmedizin hinaus mit Heilungsmethoden beschäftigen, haben wir Herrn Tennie zum Thema interviewt. Er spricht darüber, warum der Patient im Mittelpunkt stehen sollte und nicht die Eitelkeiten von Berufsständen. Er erklärt, warum er so fest an eine Zusammenarbeit aller medizinischen Berufe glaubt und warum der Begriff Alternativmedizin nicht nur falsch, sondern auch völlig unpassend ist.

1. Gesundheit zählt zu den Megatrends unserer Zeit. Und trotzdem kocht zurzeit wieder ein Kampf hoch – Ärzte gegen Heilpraktiker und umgekehrt. Kann es hier Gewinner geben?

Nein, es gibt nur einen Verlierer und das ist der Patient. Alle Behandler, und dazu zählen nicht nur Ärzte und Heilpraktiker, man denke auch Physiotherapeuten und andere, sollten sich gemeinsam um das Wohl des Patienten kümmern. Hier dürfen keine falschen Eitelkeiten im Wege stehen. Deshalb ist es wichtig dass der Heilpraktiker ein umfangreiches medizinisches Wissen hat, aber der Arzt auch die Methoden des Heilpraktikers kennt. Daran scheitert es oft, und somit entstehen auf beide Seiten die sogenannten schwarzen Schafe.

Es kann nicht gut gehen, wenn Ansichten einzelner Behandler den Behandlungsplan des Patienten bestimmen. Alle Beteiligten, die der Patient aufgesucht hat, sollten zusammen ein Konzept im Sinne des Patienten erstellen. Denn nicht Meinungen stehen im Mittelpunkt sondern einzig und alleine der Patient.

2. Einige Mediziner, Politiker und auch Personen, die im staatlichen Gesundheitswesen tätig sind, fordern ein Verbot des „Heilpraktikers“. Was hat es damit auf sich?

Alle Jahre wieder kommt der Ruf nach dem Verbot der Heilpraktiker, ausgelöst durch Berichte oder Lobbyarbeit von Ärzten. Aktuell ist das die letzte Berichterstattung bei Panorama am 31.10.19. Unsere Politiker sind zurzeit besonders anfällig. Gerade ein Herr Spahn neigt zu schnellen Aktionen, obwohl die CDU vor Wochen noch erklärt hat, sie wolle den Berufsstand erhalten. Auch die FDP verwarf ihre Verbotsforderungen aus dem letzten Jahr und ist inzwischen Unterstützer unseres Berufsstandes. Allerdings muss ich auch anmerken: es gibt durchaus Berichte über Heilpraktiker und ihre Methoden, da würde sogar ich diesen Verbotswunsch unterstreichen. Bei manchen Ärzten sieht das aber nicht anders aus. Wir dürfen eben nicht alle über einen Kamm scheren, das ist die Feinheit. Dass die Politik an einer einheitlicheren Ausbildung arbeiten sollte, stellte ich nicht infrage. Komplette Verbote halte ich aber für fehl am Platz. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass jeder, der eine Heilpraktikerausbildung machen möchte, vorher einen medizinischen Beruf erlernt haben muss. Damit gewinnt er Praxis, Erfahrung und erkennt rechtzeitig Gefahren. Obwohl die Praxis während eines Medizinstudiums auch nicht immer ausreichend ist. Ich habe in meiner Kliniklaufbahn Ärzte kennengelernt, die scheinbar noch nie einen Patienten jemals die Hand gegeben haben. Jedenfalls traten sie so auf. Ich würde mir sogar wünschen, es gäbe einen Berufsverband von Heilpraktikern, die auch eine medizinische Ausbildung nachweisen können. Damit könnten wir die Qualität der Arbeit sichtbarer machen. Ich spiele mit dem Gedanken einen solchen Verband zu gründen.

3. Fakt ist, dass ja nicht nur einige „alternative Heilmethoden“ in Verruf geraten sind, sondern auch die klassische Schulmedizin. Es gibt ja immer auch eine Ursache, warum Menschen sich anderen Methoden als der klassischen Medizin zuwenden. Wäre es da nicht sinnvoll, wenn es zwischen Ärzten und Heilpraktikern mehr Zusammenarbeit gäbe?

Eine Zusammenarbeit im Sinne des Patienten ist ein Muss. Die so genannte alternative Medizin muss durch die Komplementärmedizin abgelöst werden. Wer behauptet, er sei die Alternative, behauptet immer, dass er der Bessere sei. Das ist nicht so. Der Patient muss in den Genuss einer umfangreichen Therapie kommen. Wer dabei führend ist, hängt vom Krankheitsbild ab und nicht von den Ansichten einzelner Fakultäten. Nur die Komplementärmedizin sieht den Patienten als ganzen Menschen Sie vereint alle naturheilkundlichen und schulmedizinischen Therapien und wirkt sicherlich auch der immer stärker werdenden Facharztrichtungen entgegen, was aber nicht falsch wäre. Die immer differenzierteren Fachausbildungen lassen auch den Arzt vieles übersehen. Heilpraktiker kämpfen seit langem für einen gesunden Darm, das sogenannte Mikrobiom ist kaum erforscht. Inzwischen begreift auch die Schulmedizin langsam, dass dem Darm mehr Bedeutung zukommt als bisher, um mal ein Beispiel zu nennen.

4. Liegt Gesundheit nicht in erster Linie in der Verantwortung eines jeden einzelnen? Und sollten wir dann nicht auch selbst entscheiden können, von wem wir uns helfen lassen wollen?

Gesundheit liegt immer in der Hand jedes einzelnen Menschen. Das hat ja nicht nur etwas mit den Behandlern zu tun. Lebensstil, Achtsamkeit – damit fängt es an. Dann kommt die Entscheidung, durch wen sich der Patient behandeln lassen möchte. Auch da sollte es eine freie Entscheidungmöglichkeit geben. Es muss nur gesichert sein, entschließt sich der Patient gefühlsmäßig für einen falschen Weg, so muss der Therapeut ihm das mitteilen und den richtigen Weg aufzeigen. Das macht die Qualität im Gesundheitswesen aus. Aber das gilt für jeden Behandler, egal welcher Berufsgruppe er angehört.