In vielerlei Hinsicht ist Angst ein überholter Urinstinkt. Zur Steinzeit noch überlebenswichtig, um Säbelzahntigern zu entkommen, müssen wir uns heute nicht mehr davor fürchten, vor solcherlei Getier zu stehen, das noch nicht zu Mittag gegessen hat. Und trotzdem pflegen wir unsere kleinen und großen Ängste, als kämen wir ohne sie im Alltag nicht zurecht.

„Karl, sei vorsichtig, wenn du im Sand buddelst, du weißt doch, was da alles drin rum liegt“, schallte es neulich über den Spielplatz, als ich der Tochter einer Freundin dabei zusah, wie sie fröhlich winkend, Stufe für Stufe eines Klettergerüsts erklomm. Dieselbe Dame, die eben noch ihren Karl zur Raison mahnte, wandte sich nun mir zu und sagte: „Ich wäre da ja als Mutter vorsichtig mit dem Klettergerüst. Muss das wirklich sein, dass die Kinder so was lernen? Ich finde das verantwortungslos“. Innerlich brodelte ich bereits und war kurz davor, ihr zu erklären, dass es mir auch nicht geschadet hätte, als ich regelmäßig von den Bäumen hinter unserem Haus gefallen bin, während ich mit meiner Freundin Astrid, bis in die Kronen kletterte und von dort aus unser „Raumschiff“ steuerte.

Lust auf Risiko?

Doch ich schaffte es, nach einigem Nachdenken, sie einfach nur anzulächeln. Sie tat mir leid. Denn was sie eigentlich sagen wollte, war: „Ich habe Angst, dass meinem Kind etwas passiert.“ Nachvollziehbar? Ja, nachvollziehbar. Nötig? Nein, völlig unnötig. Denn auch ohne ihre ständige Panik, könnte Karl jederzeit etwas passieren. Je mehr sie ihm verbietet, desto mehr Lust wird er irgendwann haben, Risiken einzugehen und sich über ihre Anweisung gänzlich hinwegzusetzen. Ich sage das nicht, weil ich selbst Kinder habe und aus Erfahrung spreche. Ich habe keine. Aber ich erinnere mich gut daran, wie es war, als ich zu bestimmten Uhrzeiten zuhause sein musste oder auf diverse Veranstaltungen nicht gehen sollte… Pünktlich angekommen, machte ich mich gähnend auf dem Weg ins Bett, nur um zehn Minuten später den Balkon aus dem ersten Stock hinunterzuklettern und wieder loszuziehen. Hätte ich nur ein, zwei Stunden länger außer Haus bleiben dürfen, hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht.

Kinder sind Optimisten

Warum sich also ständig um alles und jeden Sorgen machen, wenn es sich mit Optimismus viel besser lebt? Den haben uns Kinder voraus. Vielleicht aus Mangel an schlechten Erfahrungen, vielleicht aber auch einfach, weil sie noch ein bisschen Rebellion in sich tragen und denken, sie könnten wirklich alles schaffen. Ein Scheitern ist in ihrer kleinen Welt nicht vorgesehen. Würden sie alle Eventualitäten abwägen, wie wir Erwachsenen das häufig tun, würden sie vieles nicht erleben und nicht lernen, was für ihr späteres Leben wichtig ist.

Angst als Wirtschaftszweig

Für uns Erwachsene, haben sich ganze Industrien den Pessimismus zunutze gemacht und leben gut von Angst und Panik. Das Geschäft mit der Sicherheit boomt. Immer mehr Häuser werden von Kameras überwacht und sind mit Alarmanlagen ausgerüstet. Die Dating-Industrie verdient einen Haufen Geld damit, dass wir Angst haben, für immer alleine zu sein. Die Pharmaindustrie schützt mit Tabletten und Pillen scheinbar vor Krankheit und Tod. Und es gibt zahlreiche weitere Wirtschaftszweige, die entdeckt haben: Das Geschäft mit der Angst ist lukrativ.

Kein Geld mit Optimismus

Ausgerechnet eine Versicherung führt seit über 25 Jahren eine Studie zum Thema „Die Ängste der Deutschen“ durch. Zufall? Natürlich nicht. Wer die Ängste seiner potenziellen Kunden kennt, bietet die passende Versicherung dazu an. Denn mit Optimismus lässt sich weniger Geld verdienen als damit, den Menschen auch noch immer wieder aufzuzeigen, wovor sie Angst haben, und was genau dieses Unternehmen tun kann, um diese Ängste in Schach zu halten. Doch nur, wer sich von Werbung und hausgemachten Panik-Geschichten keine Angst machen lässt, ist wirklich Optimist.