Kennen Sie diese Situation: Sie haben sich 15 Minuten lang das „Gejammer“ eines Freundes angehört. Schon während seines Monologs macht es bei Ihnen „klick“. Sie schalten in den Helfermodus und überlegen bereits: Wie kann ich dem „Armen“ helfen? Und kaum hat der Freund ausgeredet, legen Sie los. Sie sprudeln förmlich über vor guten Ideen und Möglichkeiten, wie Sie Ihren Freund aus dieser misslichen Lage befreien können. Hat er seinen Job satt, haben Sie bereits eine Liste mit Nummern von Arbeitsvermittlern und Headhunter für ihn ausgedruckt. Ist ihm die Partnerin weggelaufen, wissen Sie bereits, wo er eine neue findet und, dass er doch neulich in der Bar bereits so nett mit seiner Kollegin unterhalten hat. Fehlt ihm der Antrieb, in seinem Leben etwas zu verändern, wissen Sie sofort, welches Buch er unbedingt lesen muss und welche Apps ihn dabei unterstützen können, seinen Zielen näherzukommen.

Ich hab’s doch gut gemeint

Sie fühlen sich großartig. Sie waren kreativ und freuen sich, dass Ihnen immer eine passende Lösung für jedes Problem einfällt. Doch dann der Schock: Ihr Freund ist von Ihrem Enthusiasmus nur wenig begeistert und fragt Sie ganz unverblümt: „Ist es nicht ok, wenn ich mich einfach mal ein paar Tage genau so fühle, wie in diesem Moment?“ Er beschwert sich bei Ihnen, ob Sie ihm nicht einfach mal nur zuhören und die Lage so hinnehmen können, wie sie ist. Ohne Wertung, ohne Lösung und ohne Optimierungsdrang. Sie sind verletzt, auch ein bisschen wütend und denken: Aber ich hab‘s doch gut gemeint. Der ist so undankbar!

Kein Fingerspitzengefühl

Sie waren die ganze Zeit über nur bei sich. Sie haben das getan, von dem Sie dachten, man erwartet es von Ihnen oder das, was Sie selbst tun wollten. Ihr Freund war Ihnen zwar nicht egal, aber das, was er in diesem Moment brauchte, haben Sie bestimmt, ohne zu fragen, ob es der Realität entspricht. Sie haben Ihren Kopf und den Action-Modus eingeschaltet, anstatt zu fragen: Was wünscht Du Dir von mir in diesem Moment? Kurzum, Ihnen hat das Fingerspitzengefühl gefehlt. Denn es ging in diesem Moment überhaupt nicht um Sie und das, was Sie tun wollten oder sollten. Ihr Freund war die Person, die im Mittelpunkt stehen wollte. Seine Situation, seine Gefühle und seine Wünsche.
Wahrscheinlich ist es wirklich zu viel verlangt, dass wir in solchen Situationen immer das Richtige tun. Was wir aber alle können ist zu sagen: „Ich weiß nicht, was ich jetzt für Dich tun kann. Bitte sag es mir.“