Soziale Gerechtigkeit wird ein immer zentraleres Thema, weil weltweit und sogar innerhalb Deutschlands die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufklafft. Wir haben den Gerechtigkeitsforscher Markus Schollmeyer zu diesem Thema befragt. Zurzeit befindet er sich auf einer Reise, die ihn unter anderem an die Brennpunkte sozialer Gerechtigkeit und sozialer Intelligenz in Deutschland, Angola, Brasilien und Großbritannien bringt.

Muss man in Zeiten der Globalisierung auch soziale Gerechtigkeit global betrachten?

Soziale Gerechtigkeit müssen wir immer global sehen, weil sich kein Land mehr abschotten kann. Selbst diejenigen, die darüber sprechen, weil sie an der mexikanischen Grenze oder in Europa Mauern bauen wollen, schaffen das nicht. Die gesamte Weltwirtschaft ist miteinander vernetzt. Und diese Weltwirtschaft dominiert ganz extrem unser tägliches Leben. Sie ist quasi die Brücke über diese ganzen Zäune. Gerechtigkeit ist also immer global. Sie wird aber überall unterschiedlich empfunden und gelebt. Man müsste sich also überlegen, die Weltwirtschaft im Zuge der Digitalisierung zu reformieren, anstatt zu denken, man kann mit Mauern etwas aufhalten.

Wo sehen Sie zurzeit in Deutschland den dringendsten Handlungsbedarf?

Der Deutsche an sich handelt ungern. Wir schauen leider oft zu und spielen auf Sicherheit, anstatt etwas zu unternehmen. Bei uns gibt es also viel zu tun. Ich fürchte aber, dass wir nur darauf hoffen, dass eine Organisation – ein Staat – die Sache für uns regelt. Dann gäbe es keinen persönlichen Handlungsbedarf. Jeder sollte sich in seinem eigenen Kopf bewusst machen, dass er selbst gerecht sein muss. Stichwort Eigenverantwortung. Sonst werden wir keine soziale Gerechtigkeit erleben. Damit kann man auch im Kleinen anfangen. Das ist allemal besser, als auf die anderen zu schauen und immer nur abzuwarten.

Global gesehen, wie sollte Entwicklungshilfe aussehen, damit sie sozial gerecht ist?

Entwicklungshilfe braucht man nicht. Man muss diesen Ländern die Möglichkeit geben, sich selbst zu versorgen und ihnen nicht immer alle Rohstoffe wegnehmen, die man ihnen dann wieder verkauft. Und bei uns schaffen wir eine Überproduktion an Lebensmitteln, damit die Preise hier billig sind und lässt ihnen dann unsere „Essensreste“ zukommen. Unsere Hähnchenschenkel machen dann den Markt für die Bauern dort kaputt. Die so genannten Länder der dritten Welt dürfen kein Vorhof der Ausbeutung sein, sondern ihr eigenes Ding machen können. So lange sie aber unterdrückt sind, wird das nichts. Da kann man noch so viel Entwicklungshilfe leisten. Da unsere Entwicklungshilfe mit Geld arbeitet, fördert sie in der Regel vor Ort die Korruption.