Die gläserne Decke ist ein Phänomen, von dem viele Frauen berichten, die Karriere machen beziehungsweise es versuchen. Die meisten scheitern irgendwann an dieser unsichtbaren Barriere oder sie stoßen sich zumindest den Kopf. Den gleichen Eindruck hatte ich selbst auch. Heute weiß ich: Die gläserne Decke gibt es gar nicht.

Meine Karriere begann in den 1990ern. Sie verlief schnell und steil, aber mit jeder erklommenen Stufe wurde der Aufstieg schwieriger, die Luft dünner. Menschen, die mich einst unterstützten, wurden plötzlich zu Konkurrenten, und Gefährten wandelten sich zu Gegensprechern. Ich verstand die Welt nicht mehr und fragte mich: Was ist hier bloß passiert?

Eine Phrase wie „Die Männer bleiben eben lieber unter sich“ hätte ich damals blind unterschrieben. Inzwischen bin ich aber überzeugt: Das, was gemeinhin als gläserne Decke bezeichnet wird, existiert nicht. Zumindest nicht in Form vermeintlicher Männer-Denke oder Frauenfeindlichkeit. Wäre dem so, hätten die Herren der Schöpfung in den Organisationen eine unglaubliche Macht und wir Frauen wären einflusslose Nebendarstellerinnen. Tatsächlich sind wir jedoch Teil des Systems.

Die Struktur bestimmt, wer aufsteigt

Soziale Systeme funktionieren auf Basis ihrer Strukturen. Die formelle Struktur ist meist leicht erkennbar. Denn Hierarchien, Aufgaben, Position und Co. sind schriftlich definiert und mündlich kommuniziert. Viel wirksamer, aber leider auch weniger sichtbar, sind die informellen Strukturen. Wir verabreden sie meist non-verbal, erkennen sie nur durch Beobachten und lernen so, was geht und was nicht. Oft in Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen.

Was wir glauben, entscheidet

Ein Beispiel: Die Führungskraft „predigt“ seit langer Zeit, dass die Mitarbeitenden in ihren Themen bitte selbst entscheiden und eigenverantwortlich agieren sollen. Trotzdem kommen sie alle mit jeder Kleinigkeit zur Chefin oder zum Chef gerannt und sichern sich ab. Ein klares Muster ist erkennbar. Aus solchen Mustern können wir auf die Struktur des Systems schließen.

Und die wird nicht nur bewusst entwickelt, sondern entsteht auf Basis mentaler Modelle. Kurzum: Entscheidend ist, was wir über Angestellte, Führungskräfte, Kunden und Kundinnen glauben. Wie denken wir über Karrierechancen, die Situation von Frauen und Männer im Unternehmen und wie glauben wir, wird im Unternehmen mit Konflikten umgegangen?

Jedes Unternehmen hat seine eigene Vergangenheit und eine auf seinen mentalen Modellen basierende Struktur. Anzunehmen, dass es eine gläserne Decke in nahezu allen Organisationen gäbe, ist ungefähr so, wie die Behauptung:

Männer hören nie zu und Frauen können nicht einparken.

Die Annahme ist, das muss ich, glaube ich, nicht betonen, pauschal und undifferenziert. Wollen wir herausfinden, wie wir in einer bestimmten Organisation die Karriereleiter hochklettern können, müssen wir das System beobachten und seine Strukturen erkennen. In einer Organisation macht Karriere, wer immer seine individuellen Ziele erreicht, egal wie. In einer anderen sind es eher die Menschen mit den kreativen Ideen. Das zu beobachten ist der erste Schritt. Wollen wir die Strukturen verändern, weil zum Beispiel Karriere immer noch nur die Menschen machen, die Command-and-Control leben und wir doch lieber agil zusammenarbeiten wollen, so müssen wir einen Diskurs auf der Ebene der mentalen Modelle anstoßen – zum Beispiel über die Existenz oder Nicht-Existenz einer gläsernen Decke. Zu gehen wäre natürlich auch noch eine Möglichkeit. Die Frage ist aber, wie sieht es in der nächsten Organisation aus?

Glaube versetzt keine Berge, aber er schafft Fakten

„Frauen stoßen irgendwann an die gläserne Decke“ ist eine Aussage, die seit Jahrzehnten in zahlreichen Beiträgen, Artikeln und Interviews auftaucht. Auch sie ist aber nicht mehr und nicht weniger als ein Glaubenssatz, keinesfalls Wissen. Wenn wir Frauen fest an ihn glauben, welche Auswirkung hat das auf den nächsten Karriereschritt? Im schlimmsten Fall wirkt sich der Glaubenssatz als selbsterfüllende Prophezeiung aus, mit der wir uns unser eigenes Bein stellen. Wir bekommen, was wir glauben und tragen unbewusst dazu bei.