Wie so vieles, was reibungslos funktioniert, nehmen wir unsere Stimme meist erst wirklich wahr, wenn Sie uns plötzlich den Dienst verweigert. Dabei verrät die Stimme oft mehr als die Worte sagen, die wir sprechen.
Wenn Heiserkeit und Halsschmerzen uns plagen, hat jeder seine persönlichen Tricks, um Abhilfe zu schaffen. Ob nun Halsbonbons, Rachensprays oder ein heißer Tee das Mittel der Wahl sind, am Ende ist Schweigen, die schnellste und wichtigste Therapie. Doch nicht jeder Stimmverlust lässt sich durch eine Infektion erklären, denn Ihre Stimme ist nicht einfach nur das, was als Geräusch aus Ihrem Mund kommt. Sie ist Ausdruck Ihrer ganzen Persönlichkeit und Ihrer Verfassung. Und Ihre Stimme entsteht nicht einfach nur irgendwo in Ihrem Hals und kann wieder mit einem Lutschbonbon geschmiert werden, sondern wird von Ihrem ganzen Körper produziert.
Was die Stimme verrät und was sie sagt, wenn sie nichts mehr sagt
Eine Frage meines Arztes trifft für mich bis heute den Nagel auf den Kopf: Ich hatte ein Wochenende vor mir mit einem großen Auftritt als Sopranistin und am Folgetag ein Stimmtraining in einem Unternehmen. Und plötzlich war meine Stimme ohne Vorwarnung einfach weg. Ich erwartete vom Arzt den Rat, die Stimme zu schonen und alles abzusagen, aber stattdessen fragte er mich: „Was will Ihre Stimme verschweigen?“
Ich weiß heute noch genau, was mir in dem Moment für Gedanken und Gefühle durch Kopf und Körper schossen. Alles, womit ich mich nicht hatte beschäftigen wollen, gelangte durch diesen Satz an die Oberfläche. Konzert und Workshop konnten wie geplant stattfinden. Die Stimme hielt und war, nachdem ich mich mit meinen Themen auseinandergesetzt hatte, brillanter als jemals zuvor.
Die Stimme hatte durch ihr Schweigen gesprochen. Mittlerweile gibt es sogar Studien darüber, wie sich psychische und körperliche Erkrankungen in Stimme und Sprechweise niederschlagen. Ärzte, Psychologen und Informatiker arbeiten bereits an automatisierten Analyseverfahren, um die Informationen aus der Stimme systematisch zu nutzen. Erkrankungen wie Parkinson ließen sich so womöglich früher erkennen, die Schwere einer Depression oder Aufmerksamkeitsstörung leichter messen.
Die drei Säulen einer gesunden Stimme
Ursprung eines jeden Tons ist das Atmen. Wir atmen zwar automatisch, die Art des Atmens wird jedoch von vielen Faktoren beeinflusst, die sich auf unsere Stimme auswirken.
Körper – Emotionen – Mentale Einstellung
Ein gesunder Körper, aber auch die Haltung unseres Körpers – wie wir gehen, stehen, sitzen – beeinflusst unsere Atmung. Je besser Sie Ihre Stimme durch eine gute Atmung unterstützen, umso mehr Resonanz werden Sie ausschöpfen können.
Die richtige Atemtechnik
Eine gute Atemtechnik gibt dem Körper so viel Weite und Beweglichkeit, dass die drei schwingenden Ebenen Beckenboden – Zwerchfell – Stimmlippen optimal und reibungslos zusammen schwingen können. Paradoxerweise entsteht bei einer „guten“ Einatmung meistens das Gefühl „ich atme ja gar nicht mehr richtig ein“. Die meisten Menschen holen viel zu viel Luft, die sie aktiv einziehen. Die rutscht dann in die falschen Körperregionen. Das hört man am angestrengten Klang. Die Einatemtechnik für eine strahlende, anziehende und lebendige Stimme fällt mit einem Gefühl des Loslassens in die tiefen Regionen des Körpers ein. In der sogenannten „Ruheatmung“ (wenn Sie lesen, fernsehen, am PC sitzen) können Sie spüren, dass Sie beim Einatmen merken, wie der Bauch rund um den Bauchnabel wird und er sich tiefer sich ausdehnt. Also, nichts mit Bauch einziehen!
Wenn Sie es schaffen, sich eine gute Technik anzugewöhnen, wird Ihre Stimme zunehmend ihre anziehenden, einzigartigen Farben ausspielen können. Man wird Ihnen lauschen. Sie werden Ihr Publikum an sich ziehen – statt sich im Gegenteil darum zu bemühen, „zu dem Publikum hin“ zu kommen. Und, Sie werden lange und ausdauernd sprechen können ohne zu ermüden. Sie werden sozusagen zum Leistungssprecher.
Emotionen im Griff
Aber auch einer hervorragenden Atemtechnik können unsere Emotionen in die Quere kommen. Sind wir nervös, aufgebracht oder verliebt ändert sich unsere Atmung. Völlig unabhängig vom konkreten Auslöser, schaltet unser Gehirn auf Stressmodus. Unsere Hirnhälften arbeiten nicht mehr ausgeglichen und optimal zusammen und wir sind weit entfernt von Ruhe und Anwesenheit, ganz zu schweigen davon, unser Sprechen zu genießen.
Unsere mentale Einstellung beeinflusst unseren Umgang mit den eigenen Emotionen. Haben wir eine starke und flexible mentale Einstellung kann uns so schnell nichts aus der Bahn werfen. Wir gehen kreativ und sorgsam mit uns selbst um – und können dadurch entspannter atmen und uns anders bewegen.
Soforthilfe für die Stimme
Wenn Sie Nervosität, Lampenfieber oder Erfolgsdruck plagt, hilft eine kleine Mentalübung, um diese emotionale Aufgewühltheit zu bändigen:
Setzen Sie sich an einen ruhigen Ort, schließen die Augen und atmen ruhig. Durch die Nase ein – durch den Mund aus. Nun ballen Sie Ihre rechte Hand zu einer Faust und pumpen eine Weile. Beobachten Sie, ob Sie kleine Veränderungen im Gehirn wahrnehmen. Kribbeln, Helligkeit, Druck, Wachheit, Energie … . Geben Sie sich einige Minuten Zeit für das Pumpen, bevor Sie die Hand wechseln. Abschließend pumpen Sie einige Minuten mit beiden Händen gemeinsam. Dadurch wird die Synchronisierung der rechten und linken Hirnhälfte wieder herstellt und durch Botenstoffe entsteht ein Gefühl der Entspannung und des Wohlbefindens.
Manchmal braucht unser Gehirn etwas länger, bis es akzeptiert, dass es den Angst- oder Stressmodus verlassen kann und wieder Ruhe und Ausgeglichenheit Platz macht.
Mein Tipp: Üben Sie diese Technik immer mal wieder, wenn Sie gerade einen Moment Zeit haben. In der U-Bahn, am PC oder beim Einkaufen. Ihr Gehirn lernt dann, schneller in die Entspannungsphase überzugehen, wenn es darauf ankommt. Dann ist die Bühne für Sie frei!