Communities brauchen Managementsysteme genauso dringend wie Unternehmen. Warum? Um zum Beispiel Hilfsprojekte zu organisieren und sie auf real mögliche Szenarien optimal vorzubereiten. Denn die Zeit der Corona-Krise zeigt deutlich, wie wichtig „Communities“ für unser Zusammenleben sind. Wir kooperieren, wenn es darauf ankommt, einander zu helfen und zu unterstützen, wo immer nötig. Eine Notlage verstärkt diesen Effekt nachweislich. Wir erleben Nachbarschaftshilfe, formelle und informelle Angebote, Gaststätten und Kneipen bekommen Unterstützung durch Crowdfunding, Sportvereine organisieren den Wocheneinkauf für Menschen, die zu den besonders betroffenen Risikogruppen gehören und vieles mehr.
Leider sind zahlreiche dieser Hilfsprojekte improvisiert und auch deswegen teils kontraproduktiv. Gut gemeint heißt leider nicht automatisch gut gemacht. Aber auch organisierte Hilfen müssen sich vorwerfen lassen, nicht oder nur unzureichend zu greifen, weil sie auf das aktuelle Szenario einfach nicht vorbereitet waren. Dieser Vorwurf richtet sich vor allem an Kommunen.
Zivilschutz und ein starker Staat
Ob diese Vorwürfe gerechtfertigt sind oder nicht, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Fakt ist, dass Zivilschutz in der Vergangenheit, insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg bis zur Wiedervereinigung, ein stark regulierter und institutionalisierter Bereich war. Selbst in Schulen wurden Grundregeln des Zivilschutzes gelehrt. Dazu gehörte nicht nur der obligatorische Erste-Hilfe-Kurs. Wir brachten Schülern bei, wie sie Schutzräume einrichten, Brände löschen und verletzte Personen retten können. Damit wurde zumindest Awareness geschaffen. Durch Wehrpflicht, Zivildienst und Ersatzdienst wurden Menschen in größerem Stil einer gesellschaftlichen Verpflichtung unterzogen. Ehrenamt fand hauptsächlich in organisierten Formen statt. Auf dem Dorf waren viele bei der Freiwilligen Feuerwehr, auch Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz verzeichneten entsprechend Zulauf.
Leistungen der Daseinsvorsorge lagen meist in öffentlicher Hand. Dies galt für das Stadtwerk – das alle Sparten wie Wasser, Strom und Abwasser bediente – ebenso wie für Infrastrukturunternehmen wie Post und Bahn.
Privatisierung und private Initiativen
In den 1990er und 2000er-Jahren rollte dann eine Privatisierungswelle über uns hinweg. Unter anderem betraf das die klassischen Stadtwerke ebenso wie Post und Bahn. Gleichzeitig nahm ehrenamtliches Engagement in organisierter Form ab.
Unsere jüngste Vergangenheit ist stark geprägt von informellen Initiativen, die aus verschiedenen Motiven heraus Einfluss nehmen wollen auf die gesellschaftliche Entwicklung und konkrete Handlungshilfe anbieten. Vor allem der Klimawandel hat diese Entwicklung befeuert, aber auch in der aktuellen Krise sehen wir zahlreiche Initiativen sprießen. Menschen finden und organisieren sich über soziale Medien oder andere Plattformen. Das ehrenamtliche gesellschaftliche Engagement scheint ungebrochen da zu sein. Es zeigt sich nur heute in anderer Form.
Ist der starke Staat zurück?
Die Corona-Krise macht nun deutlich, dass der Staat als starker Akteur wieder gefordert ist. Vor allem, um die knappen Ressourcen so einzusetzen, dass optimale Hilfe möglich wird. Die Welt hat sich aber seit den 70er und 80er Jahren weiterentwickelt. Konzepte des Zivilschutzes von „damals“ können nicht 1:1 auf die heutige Zeit übertragen werden. Die Szenarien, die wir gemeinsam zu bewältigen haben, sind komplex, vernetzt und fordern die Koordination von unterschiedlichen Aufgaben und Angeboten. Klimakrise und demographische Wandel sind hierbei nur zwei Beispiele für Herausforderungen.
Community Resilience und Nachhaltige Entwicklung
Diese neuen Herausforderungen brauchen neue Herangehensmodelle. Weder der Staat noch private Initiativen alleine werden es richten können. Wichtig erscheint jedoch die Koordination von kommunalen Aufgaben, staatlichen Aktionen und gesellschaftlichem Engagement.
Die „International Organization for Standardization“ hat Ansätze bereits 2016 in einem Managementsystem für die Nachhaltige Entwicklung von Communitys – ISO 37101 – veröffentlicht. Ein Team aus Experten hat im Technischen Komitee mittlerweile eine kleine Reihe an Standards veröffentlicht, die Communitys Hilfestellung geben sollen, um sie zukunftsfähig zu machen. Ein breiter Strauß an Themen wie Bildung und Aufbau von Fähigkeiten, Innovation und Kreativität, Zusammenleben und gegenseitige Unterstützung wird in vielen Bereichen wie Gesundheitswesen, Kultur und Identität, Sicherheit und mehr eröffnet, die miteinander koordiniert werden sollen. Dabei geht es der Normenreihe nicht darum, exakte Lösungen und einen Handwerkskoffer zu liefern. Sie will diese Themen strukturieren, bewertbar machen und vor allem eine Systematik anbieten, diese zu entwickeln.
Die Ziele: Die Attraktivität der Kommune zu steigern, dabei die Umwelt schützen, die Widerstandskraft erhöhen, Ressourcen verantwortungsvoll nutzen und den sozialen Zusammenhalt wie das Wohlergehen erhöhen.
Managementsysteme in Unternehmen und Communitys
Um diese Ziele zu verfolgen werden die Ansätze eines fokussierten Managementsystems verwendet. Die kennen wir aus der Unternehmenswelt (z.B. ISO 9001 für Qualitätsmanagement) und sie lassen sich übertragen. Denn sowohl Unternehmen als auch Kommunen bestehen aus Menschen, die Ziele erreichen wollen und dafür Ressourcen einsetzen. Warum also nicht diese bewährten Ansätze nutzen? Es geht vor allem darum, die unterschiedlichen Interessen so auszurichten, dass die Ziele für das große Ganze erreicht werden können. Das könnte also beispielsweise sein, dass Communitys systematisch, zielgerichtet und vor allem regelmäßig bewertbar an Entwicklungszielen arbeiten, die mit den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen im Einklang sind.
Teil der Lösung
Corona, aber auch die Situation unseres Klimas zeigen, dass Menschen aktiv Teil der Lösung sein wollen. Eine zukunftsfähige Community wird diese Ziele nicht mit starker Hand erreichen, sondern indem sie Ihre Interessengruppen einbezieht. Und an dieser Stelle komme ich auf die englische Stadt Liverpool aus dem Titel zu sprechen. Die führt nicht nur die Fußball-Tabellen an, sondern beherrscht inzwischen auch „Community Resilience“ in vorbildlicher Weise. Ihre Überflutungsproblematik haben sie gelöst, indem sie zum Beispiel eine „Flood Resilience Community Pathfinder“-Initiative gegründet haben, also einen Community-Wegweiser für Widerstandsfähigkeit gegen die Flut. Dabei wurden sogar diejenigen Einwohner miteinbezogen, die englisch nicht als Muttersprache sprechen und in deren Muttersprache gebrieft. Bei Häusern, die es nötig hatten, wurden spendenfinanziert Flut-Türen und ähnliche Schutzmaßnahmen eingebaut. Außerdem wurden so genannte Flood Action Groups etabliert. Ganz nach dem Motto: „You’ll never walk alone!“
Ein Ansatz, der auch für deutsche Kommunen taugt. Denn nach Corona werden wir uns wieder verstärkt weiteren großen Herausforderungen zuwenden müssen. Dafür brauchen wir einen systematischen und fokussierten Ansatz.