Wie fülle ich meine persönlichen Akkus? Auf welche Ressourcen kann ich zurückgreifen und was motiviert meine tägliche Arbeit?
Der Kulturbetrieb in Coronazeiten
Bisher hat vor allem meine eigentliche Arbeit diese Fragen inhaltlich ausgefüllt. Als Pressesprecherin eines Kulturunternehmens, das in besonderem Maße auf Veranstaltungen ausgerichtet ist, traf uns die Corona-Pandemie besonders hart. Seit Jahresbeginn liefen die Vorbereitungen auf unsere Veranstaltungen im Rahmen der Berlinale. Zunächst wurden erste Vorsichtsmaßnahmen von Veranstalterseite eingeleitet. Teilnehmer*innen und Gäste wurden über geeigneten Maßnahmen, Abläufe und Meldewege informiert. Die breite Öffentlichkeit war es zu diesem Zeitpunkt noch wenig informiert. Der angekündigte Besuch aus China und anderen Ländern aus Asien zu den von uns geplanten Veranstaltungen musste unterdessen abgesagt werden.
Der Shutdown kam dann aber trotzdem wie ein Paukenschlag. Mein gewohnter Alltag brach weg und ich fühlte die Unsicherheit in mir aufsteigen. Wie geht es jetzt weiter? Wie werde ich weiterhin mein Geld verdienen? Wann wird ein Impfstoff gefunden? Wann hört dieser Albtraum auf?
Umdenken und die Frage nach den eigenen Ressourcen
Sehr schnell wurde mir klar, dass ich keinen Einfluss hatte auf die Dauer der Einschränkungen und dass ich daher die Zeit nutzen musste, mich zu sortieren und mich den Gegebenheiten anzupassen. Dazu gehörte zum einen das Mitdenken digitaler Möglichkeiten. Welche Online Formate gibt es? Welche Apps helfen bei der Kommunikation und welche Plattformen können wir nutzen?
Zudem musste ich mich auch körperlich fit und gesund halten. Mit meinem Mann machte ich lange Abendspaziergänge. Die ersten drei Wochen liefen wir durch ein menschenleeres Berlin. Verwaiste urbanen Hotspots. Boulevards ganz für uns alleine.
Die dritte Komponente war die Besinnung auf meine eigenen Ressourcen. Ich versuchte mich an das zu erinnern, was mich geprägt hat. Was mich ausmacht. Jede und jeder von uns trägt einen Wissensrucksack mit sich herum. Darin befinden sich sowohl das professionelle Handwerkszeug als auch emotionale Kompetenzen.
In einem Bereich meines Lebens kommen diese beiden Aspekte zusammen: In der Literatur und durch die Begegnung mit Autorinnen und Autoren.
Literarisches Vorbild: Virginia Woolf
Meinen Lesekanon war anfänglich stark von meiner Mutter beeinflusst. Ich muss ca. 16 Jahre alt gewesen sein, als sie mir ein kleines Büchlein in die Hand drückte und mich ermunterte, es zu lesen. Es war der Essay A Room of One’s Own der britischen Schriftstellerin und Verlegerin Virginia Woolf von 1929. Er hat mich sofort elektrisiert und er tut es noch heute. Zunächst konnte ich noch gar nicht genau sagen warum. Aber ich wollte immer mehr lesen.
Griffbereit stand im Wohnzimmer meiner Eltern die gelbe Virginia Woolf Gesamtausgabe aus dem S. Fischer Verlag und so verschlag ich ein Buch nach dem anderen. Von Mrs. Dalloway, To the Lighthouse, Orlando, The Waves über Flush bis hin zu Three Guineas.
Durch die poetische Wucht und die Dringlichkeit von Fragen der Gleichberechtigung in Woolfs Werken begann meine Beschäftigung mit der Frauenbewegung, Geschlechterfragen und der Bedeutung von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Meine Faszination lag zum einen in der Unkonventionalität der Charaktere und der für mich damals noch ungewohnt klaren offenen Sprache. Sicherlich war sie eine der Gründe, warum ich mich auch beruflich in der Literaturbranche orientierte.
Gemeinsamer Austausch und der Blick nach vorne
In den 80er Jahren nach dem Tod Francos in Spanien liberalisierte sich die Verlagsszene und die Bücher von Virginia Woolf und den Bloomsbury Kreis erschien peu-á-peu. Zusammen mit einer guten Freundin haben wir versucht alles über Sie zu lesen. So lernte ich die Bedeutung von Austausch, von gemeinsamen Lesen und Sprechen über die Literatur zu schätzen.
Meine Faszination für Virginia Woolf hat seit dem nicht nachgelassen. Sie hat auch viele andere Menschen inspiriert. Eine Fotoserie der Porträtfotografin Gisèle Freund (1908-2000) von der Autorin etwa ist eine sehr persönlicher Annäherung. Diese Bilder sind nicht verklärend. Virginia Woolf wird hier im Alter, Zigarette rauchend, mit wachem und leicht spöttischem Blick sehr eindringlich und fragil festgehalten.
Die großartigen Verfilmungen, etwa Sally Potters Orlando (1992) mit Tilda Swinton in den Hauptrollen oder The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit von Stephen Daldry (2002) mit Meryl Streep, Julianne Moore und Nicole Kidman, zeigen, wie viel Virginia Woolf uns heute noch zu erzählen hat.
In meinem Rucksack schlummern noch viele andere Erlebnisse, Bücher, Gespräche mit Menschen, die mich bewegt und begleitet haben. Wovon können Sie erzählen? Was hat Sie geprägt? Es scheint mir sehr wichtig nachzusehen, auf welche Ressourcen und Motivationen wir zurückgreifen können. Und ebenso wichtig ist es, sie zu teilen. Denn ich nehme an, dass wir uns noch eine geraume Weile selbst motivieren müssen.