Als Italo-Deutsche ist Vielfalt für mich nicht nur irgendein Wort. Ich erlebe sie jeden Tag bei mir selbst. Meistens sind es kleine Dinge, die bei mir ganz unterbewusst ablaufen. Wenn ich zum Beispiel an einer Bushaltestelle stehe, grüßt die Italienerin in mir die ältere Dame, die neben mir wartet. Das geschieht selbstverständlich. Sie ist Deutsche und darüber ein wenig irritiert, weil sie das nicht kennt. Ich möchte nicht sagen, dass die Deutschen per se unhöflich sind. Aber ich erlebe hier oft, dass ältere Menschen für viele unsichtbar sind. Im Süden ist das noch anders: Samstag abends in einer Pizzeria irgendwo an der Küste der Toskana, ist es völlig normal, dass Eltern, Kinder und Großeltern vereint am Tisch sitzen. Das kenne ich aus Deutschland nur von Geburtstagen und anderen Familienfesten.

Mehr-Generationen-Kultur

Dieses Mehr-Generationen-Konzept gefällt mir gut. Auch, dass Kinder mitgenommen werden und, wenn sie müde sind, einfach im Kinderwagen schlafen gelegt werden ist in Italien gang und gäbe. Keiner käme auf die Idee, die Eltern dafür zu kritisieren, dass sie ihre Kinder abends mitnehmen. Warum sollte man auch? Kinder zu haben ist ja keine Krankheit, die einen fortan davon abhält, soziale Kontakte zu pflegen. In einer Mehr-Generationen-Kultur gehören Kinder dazu, genauso wie die Älteren. Man stelle sich das in Deutschland vor. In der gleichen Pizzeria-Situation würden bestimmt viele meckern und Sachen sagen wie: Das ist aber eine schlechte Mutter, die ihr Kind nicht rechtzeitig ins Bett bringt. Oder: Muss das wirklich sein, dass die ihre Kinder überall hin mitnehmen? Ich vermute sogar, dass es Meckereien aus der eigenen Familie gäbe.

Typisch deutsch – typisch italienisch?

Natürlich spreche ich hier auch über Klischees. Aber genauso sehr, wie ich die italienische Haltung zur Familie mag, genau so froh bin ich über meine deutschen Gene. Die Deutsche in mir ist pünktlich und wartet auch nicht so gerne auf andere. Ich bin zuverlässig, diszipliniert und ich halte das Wort, das ich gebe. Auf der anderen Seite mag ich, dass die Südländerin in mir kommunikativ und herzlich ist und sich keine Probleme macht, bevor sie wirklich existieren.

Bewusstsein und Dankbarkeit

Vor allem aber schätze ich es, wenn Menschen sich dessen bewusst sind, wie gut es ihnen geht. Etwas, das ich in Deutschland oft vermisse. Wie oft begegne ich Menschen, die schlecht gelaunt, undankbar und unzufrieden sind. Dabei geht es uns in Deutschland so gut. Warum sind wir uns dessen nur so selten bewusst? Wir schimpfen über die Politik, die Gesellschaft oder auch den Fußball. Alles ist schlecht. Dann schaue ich nach Griechenland, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei über 45 Prozent liegt. In dieser wirtschaftlich schlechten Zeit wohnen viele Griechen wieder bei ihren Eltern. Es ist ihnen unmöglich geworden, ihre Miete zu bezahlen. Ich frage mich: Wie kommt es, dass dort oft hoffnungslos überqualifizierte Menschen kellnern und dabei trotz ihrer schlechten Lage, aufmerksam und höflich sind und den Gästen stets mit einem Lächeln auf dem Gesicht begegnen.

Mehr Vielfalt – neue Perspektiven

Vielleicht fällt mir das nur auf, weil ich halb-halb bin? Vielleicht sehen wir alle nur das, was wir bereits wissen. Ich denke, mehr Aufmerksamkeit für die kleinen und großen Details anderer Kulturen trägt viel zur Völkerverständigung bei und nimmt einem unnötige Ängste und Vorbehalte gegenüber allem, was anders ist. Ob man die Vielfalt bereits im Blut hat oder ob man sie lernt und lebt, spielt keine Rolle, solange wir offenbleiben und die Chancen nutzen, die sich uns dadurch bieten. Dann schaffen wir neue Perspektiven und fangen an, nicht immer nur andere, sondern auch einmal uns selbst zu hinterfragen. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Schönheit und die kleinen Dinge im Leben wertzuschätzen und glücklich zu sein.